Interview

„Die vierte Gewalt muss die Sparkassen genau beobachten“

von

Jonathan Sachse ist Reporter von Correctiv.

Screenshot der Sparkassen-Recherchen von Correctiv
Mit einem Klick aufs Bild gelangen Sie zur Recherche von Correctiv

Ein Sparkassen-Vorstand, der mehr verdient als die Bundeskanzlerin? Realität, zum Beispiel in Köln. Auf der anderen Seite verlieren viele Sparkassen reihenweise Kunden, und es geht ihnen so schlecht, dass sie keine Gewinne mehr an Städte und Gemeinden abführen können.  Aber wie ist es im einzelnen um die 414 deutschen Sparkassen bestellt? Das will Correctiv mit der Plattform Crowd Newsroom untersuchen – eine virtuelle Redaktion, bei der sich Journalisten aus ganz Deutschland an der Recherche beteiligen können. Über das Konzept sprach die drehscheibe mit Jonathan Sachse vom Correctiv.

Herr Sachse, seit vergangenem Mittwoch ist Ihre Plattform Crowd Newsroom online. Haben sich schon Journalisten gemeldet, die mitrecherchieren wollen?

Wir sind überwältig, wie viele Menschen in den ersten Stunden bereits mit der Recherche begonnen haben. Nach zwei Tagen besteht unsere virtuelle Redaktion bereits aus 220 Mitgliedern, die zusammen bereits 570 Fakten bei 34 Sparkassen eingetragen haben. Das Konzept funktioniert also – im Team sind große strukturelle Analysen möglich.

Ganz konkret wollen Sie die Situation der Sparkassen in Deutschland analysieren und herausfinden, wie die Sparkassen durch Luxusrenten für ihre Vorstände und dubiose Kreditvergaben zur Belastung für die Städte werden. Warum gerade dieses Thema? Welche Enthüllungen erwarten Sie?

Es ist toll, dass wir in Deutschland ein mehrgliedriges Bankensystem haben. Die Sparkassen sollten dabei eine besondere Rolle einnehmen – gut für die Bürger, gut für die Kommunen. Leider funktioniert das Ursprungskonzept nicht mehr so gut. Immer mehr Sparkassen fusionieren, auch weil Politiker in den Gremien der Sparkassen nicht immer ihrer Kontrollfunktion gerecht werden. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, dass unsere gesellschaftlichen Banken von der vierten Gewalt genau beobachtet werden. In der Vergangenheit gab es immer wieder Skandal-Anekdoten, die irgendwo in Deutschland zu den Sparkassen aufploppten: Sparkassen-Chefs gönnten sich einen Weinkeller, Landräte bekamen von der Bank private Partys geschmissen. Wir wollen aber einen Schritt weiter gehen und die Situation bundesweit analysieren.

Und das schafft kein Journalist alleine, sagen Sie.

Ja, dafür braucht es ein sehr großes Team. Wir erhoffen uns, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten durch die virtuelle Redaktion die Lage der Sparkassen wesentlich fundierter bewerten können. Die Datenanalyse soll aber gleichzeitig auch den Lokaljournalisten helfen: Lokalredaktionen können auf die Ergebnisse im Crowd Newsroom zurückgreifen und die für ihr Region spannenden Fakten verwenden.

Sie kooperieren bei dem Portal ja mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gemeinsam kümmern Sie sich um den Faktencheck. Wie genau können Regionalzeitungen in das Projekt mit einsteigen?

Es gibt verschiedene Wege. Der erste Schritt: Jeder Lokaljournalist kann sich einen Account auf Crowdnewsroom.org anlegen. Erst als Mitglied in der virtuellen Redaktion sieht man alle Daten, die eingetragen werden. Wir wollen aber insbesondere zu den Regionalzeitungen den Kontakt intensivieren und laden deswegen gemeinsam mit der FAZ alle Interessierten am 1. Dezember zu uns nach Berlin ein. In einem Workshop möchten wir den interessierten Kollegen gemeinsam konkrete Recherchetipps geben. Das genaue Programm folgt in den nächsten Tagen, wer teilnehmen möchte, kann mir eine kurze E-Mail schreiben.

Welche konkreten Tipps haben Sie für kleinere Lokalzeitungen, die nicht nach Berlin reisen können, aber mitmachen wollen?

Wir haben uns genau überlegt, welche Recherchefragen bei jeder Sparkasse eine Rolle spielen könnten. Auf unserer Webseite habe ich sechs klare Tipps extra für Lokaljournalisten aufgeschrieben. Zum Beispiel rate ich Journalisten, die auf der Suche nach faulen Krediten sind, den Offenlegungsbericht anzuschauen: Wird ein Kredit nicht rechtzeitig zurückgezahlt, nennt man ihn „faul“ oder „notleidend“. Wie hoch deren Anteil ist, muss die Sparkasse in ihrem jährlichen Offenlegungsbericht bekannt machen. Das Volumen der faulen Kredite kann man dann in Bezug zu den Gesamtkrediten setzen. Richtwert: Ab einer faulen Kreditquote von 10 Prozent wird es problematisch. Im Crowd Newsroom beginnen wir mit acht konkreten Themen, wer die Fragen durchgeht, wird mit Sicherheit neue Ansätze für Geschichten finden. Noch ein ganz konkreter Tipp: Konzentrieren Euch nicht nur auf eure eigene Sparkasse, sondern vergleicht die Angebote oder Gehälter und Probleme mit den Nachbarbanken. In Relationen lässt sich die eigene Bank viel besser bewerten.

Wie aufwendig wäre eine solche Mitarbeit?

Ganz unterschiedlich. Wer sich im Crowd Newsroom ausprobiert, verpflichtet sich nicht für eine langfristige Bindung. Die Anmeldung ist in einer Minute passiert. Wer dann Feuer fängt, bleibt hoffentlich langfristig dabei. Das Thema Sparkassen ist im übrigen nur das Startthema – ein Pilotprojekt. Wir wollen die Themen und insgesamt das Konzept der virtuellen Redaktion immer weiter ausbauen.

Interview: Johanna Rüdiger

Hier geht's zum Crowd Newsroom.

Hier geht es zu einem drehscheibe-Interview mit David Schraven über das Konzept von Correctiv.

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