Interview

Eine Journalistin auf der Walz

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Diese Idee stieß auf ein gewaltiges Medienecho: Einen Sommer lang will die freie Journalistin Jessica Schober sich auf die journalistische Walz begeben, von Ort zu Ort reisen und im Gegenzug für eine Übernachtung und ein Essen ihre Dienste anbieten. Auf ihrem Blog Wortwalz.de will Schober dann von ihrer ungewöhnlichen Reise berichten. Für ein wenig Taschengeld zum Start hat sie überdies ein Crowdfunding veranstaltet, bei dem sie bislang über 1300 Euro hereinbekam. Was steckt hinter diesem Konzept, das in den Medienmagazinen für so große Aufmerksamkeit sorgte? Die drehscheibe sprach mit Schober über ihre Motivation.

Mit einem Klick geht's zum Wortwalz-Blog.

Frau Schober, wie kamen Sie auf die Idee, sich journalistisch auf die Walz zu begeben?

Die Idee kam mir, als ich einmal selbst einen Text über die Walz geschrieben habe. Über eine junge Frau, die auf die Bäckerwalz ging. In dem Text ging es um das Thema: „Raus aus der Komfortzone.“ Ich hatte jemanden gesucht, der es sich nicht so leicht macht im Leben. Und da habe ich eben diese Bäckergesellin aufgetrieben. Ich hatte gar nicht gewusst, dass man auch als Bäckerin auf der Walz sein kann. Das fand ich spannend. Ich wollte es selbst einmal ausprobieren. Auf der Journalistenschule wurde ja auch immer betont, dass der Journalismus ein Handwerk ist.

Wie soll das konkret ablaufen? Sie steuern irgendeine Redaktion an, gehen hinein und bieten dem Lokalchef Ihre Dienste an?

Genau so habe ich mir das vorgestellt. Bis vor wenigen Tagen konnte ich auch nicht ahnen, dass ich vorab schon eine so lange Liste an Einladungen haben würde, wie es jetzt der Fall ist. Davon bin ich nun wirklich etwas überrascht worden. Die Reaktionen sind wirklich großartig. Aber mein Plan ist es tatsächlich, per Autostopp eine Stadt anzusteuern, mich dort zur Lokalredaktion durchzufragen und gegen Essen und eine Übernachtung meine Dienste anzubieten.

Wo wollen Sie Ihre Walz beginnen?

Ich wohne in München. Um die Stadt herum liegt dann dieser Bannkreis von 50 Kilometern, in dem ich mich nicht aufhalten darf. Das ist eine der Regeln der Walz. Ich habe zum Beispiel Angebote aus Ingolstadt, da habe ich früher schon für eine Lokalzeitung geschrieben. Aber ich versuche eigentlich ganz bewusst, nicht so viel im Voraus zu planen.

Welche Themen wollen Sie denn bearbeiten?

Das Schöne am Lokalen ist ja, das hier einfach alles anfällt an Themen. Ich will mich da gar nicht festlegen. Ich bin ein leidenschaftlicher Fan von Menschen, die ihre Freizeit in Bezirksausschüssen verbringen und darüber diskutieren, ob der Nachbar seinen Haselnussstrauch fällen darf oder nicht. Aber mich interessieren auch diese Formen von lokalem Engagement: Feuerwehrübungen und ähnliches. Ich habe für eine Geschichte auch schon mal auf einem Baum den Borkenkäfer gesucht. Tiere und Natur mag ich gerne, aber wie gesagt, ich bin thematisch offen.

Ist das auch der Grund, warum Sie das Lokale lieben, wie Sie gesagt haben?

Ja, ich finde es eben toll, dass man im Lokalen so vielfältige Themen bearbeiten kann. Es klingt immer wie eine Floskel, aber man ist eben wirklich nah dran an den Lesern, die Leute nehmen die Geschichten wahr, die man schreibt.

Ist das beim Focus, bei der Süddeutschen Zeitung und beim Cosmopolitan anders? Für die haben Sie ja auch schon geschrieben.

Dort gibt es vor allem online viel Feedback, aber ich habe das Gefühl, dass man schon beim Entstehen des Textes in so einer Art Journalistenblase sitzt. Die Schwelle zur Berichterstattung ist in einem Wochen- oder Monatsmagazin viel höher, das hängt da von sehr vielen Faktoren ab. Oft erscheinen die Texte erst drei Monate später, da denkt man sich dann: Ach so, jetzt wurde der Text erst veröffentlicht. Das läuft nicht so unmittelbar ab.

Sie sagen auch, die Zukunft des Journalismus liege im Lokalen. Das ist ja heute auch fast schon eine Floskel. Warum glauben Sie daran?

Zunächst liegt erst mal meine Zukunft im Lokalen, das ist das Schöne. Ich finde es zum Beispiel spannend, dass eine Wochenzeitung wie die Zeit jetzt eine Hamburg-Ausgabe macht. Dieser Bedarf an Analyse und Reportage im Lokalen wird noch gar nicht richtig bedient. Das Lokale bietet doch – fernab von der Chronistenpflicht – jede Menge Möglichkeiten, schöne Ideen umzusetzen und Geschichten zu erzählen. Leider wird das im Alltag in den Lokalredaktionen manchmal zu wenig gemacht, weil dort eben viel zu tun ist und oft sehr viele Seiten in kurzer Zeit gefüllt werden müssen.

Wird diese Zukunft im Lokalen ohne Handy und Laptop stattfinden? Denn auf diese beiden Hilfsmittel verzichten Sie ja auf Ihrer Walz.

Diesen Anachronismus habe ich bewusst gewählt, weil ich mich dem Handwerk nähern möchte. Ich glaube, dass man für die Geschichten, die ich erzählen will, nicht unbedingt ein Handy braucht. Ich würde aber in der Redaktion zum Beispiel Tools wie Storify nutzen, wenn sie da vorhanden sind. Selbstverständlich müssen lokale Geschichten nicht mehr in Stein gehauen werden, so verstehe ich das Handwerk nicht. Aber ich will die Walzregeln einhalten und lieber wieder Fragen stellen, mich wundern, neugierig sein und so an Geschichten rankommen.

Sie haben auch zum Mittel des Crowdfundings gegriffen. Warum?

Ich habe bei Startnext 1377 Euro gesammelt, das Funding läuft noch drei Wochen. Ich freue mich irrsinnig über die Unterstützung, das ist eine tolle Anerkennung. Jeder Cent, den ich mehr sammle, macht mich unabhängiger in der Berichterstattung und hilft mir meine Fixkosten in München zu decken. Denn auch als freie Journalistin habe ich ja dort laufende kosten wie Beiträge zur Künstlersozialkasse, Verbandsgebühren und die Miete für mein geteiltes Journalistenbüro.

Sie haben für Ihre Ankündigung, auf die Walz gehen zu wollen, ein überwältigendes Medienecho erhalten. Setzt Sie das besonders unter Druck?

Ein bisschen schon. So groß wollte ich das gar nicht aufziehen. Das Crowdfunding habe ich eigentlich auch nur gemacht, um vorab schon ein bisschen Unterstützung zu erhalten. Ich dachte, das sei gar nicht schlecht, wenn ein paar Redaktionen wenigstens schon mal von diesem Projekt gehört hätten. Jetzt bin ich jedenfalls froh, dass ich unterwegs kein Handy dabei habe.

Wie erklärt sich das große Medienecho?

Meine Ressortleiterin vom Focus hat mir eine WhatsApp-Nachricht geschrieben, dass sie ein wenig neidisch darauf sei, wie ich meine Freiheit nütze. Sie weiß allerdings auch, wie prekär ich als freie Journalistin lebe und welche Risiken ich dabei trage. Und das ist der Punkt: Wenn man schon die ganzen Unannehmlichkeiten aushalten muss, will man auch etwas von der Freiheit haben. Ich glaube, viele würden gerne mal losziehen. Und viele im Lokalen haben tolle Ideen, die sie gerne mal umsetzen würden.

Ist es – wenn man es einmal negativ formuliert – heute schon so weit gekommen, dass man als freie Journalistin für ein Essen und eine Übernachtung arbeiten muss, wenn man an Aufträge herankommen will?

Wandergesellen werden üblicherweise nach den geltenden Tarifverträgen bezahlt. Dazu bekommen sie Kost und Logis. Viele vereinbaren individuell mit ihrem Arbeitgeber (den sie auf Rottwelsch „Krauter“ nennen) die Konditionen. So will ich es auch machen. Mich interessiert durchaus, welches Zeilengeld in klassischen Lokalredaktionen gezahlt wird. Das will ich auch thematisieren. Ich hege nur keine Hoffnungen, dass ich von den zu erwartenden Hungerlöhnen meine Wortwalz finanzieren kann.

Ich will aber auch bei Lokalbloggern wie vielleicht Da Hogn im Bayerischen Wald oder den Prenzlauer Berg Nachrichten mitarbeiten. Dass die mir kein großes Honorar zahlen können, ist verständlich. Ansonsten will ich aber nicht dazu beitragen, dass der Lokaljournalismus finanziell noch mehr entwertet wird. Die Situation ist schon schlimm genug, da muss ich nicht noch als Wanderzirkus in die Stadt kommen und sagen: Hallo, ich mach’s umsonst. Als ich angefangen habe lokaljournalistisch zu arbeiten, habe ich weniger als 20 Cent pro Zeile verdient. Früher hab ich das Anzeigenblatt bei uns im Dorf ausgetragen, das hat sich fast mehr gelohnt.

Nachgehakt

Die erste Station von Jessica Stober wird der Nordbayerische Kurier in Bayreuth sein. Wir fragten Chefredakteur Joachim Braun, was er erwartet.

„Wir fanden das eine richtig gute Idee, weil Frau Stober auf diese Weise viele Redaktionen kennenlernt. Gute Ideen soll man unterstützen, und ich glaube, wir haben auch was zu bieten. Darum hat sich Christina Knorz, die Leiterin unserer Regionalredaktion, sofort mit Frau Stober in Verbindung gesetzt, als sie auf Facebook von deren Initiative gehört hatte. Die erste Station zu sein ist aber in diesem Fall vielleicht gar nicht so gut: So können wir nicht von den Erkenntnissen profitieren, die die Wanderredakteurin in anderen Redaktionen gesammelt hat.“

Jessica Schober

ist freie Journalistin.

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