Willkommenskultur

„Ich wünsche mir viele Nachahmer“

von

Andreas Schoener ist stellvertretender Leiter der Landkreisredaktion der Nordsee-Zeitung.

Ausschnitt der Nordsee-Zeitung
Mit einem Klick aufs Bild gelangen Sie zum PDF

In vielen Gegenden Deutschlands werden Asylbewerber mit offenen Armen empfangen – ein Engagement, das Lokalredaktionen unterstützen. Zum Beispiel die Nordsee-Zeitung. Unter dem Motto „W wie Willkommen“ stellt sie Initiativen und Ehrenamtliche vor, die sich für Asylbewerber im Landkreis Cuxhaven und in der Stadt Bremerhaven engagieren. Die drehscheibe sprach mit Andreas Schoener, dem stellvertretenden Leiter der Landkreisredaktion, über den Hintergrund der Aktion, über Symbole und die Aufgabe des Lokaljournalismus in diesen bewegten Zeiten.

Was waren Ihre Beweggründe für diese Aktion?

Wir wollten ein Zeichen setzen und Menschen in unserer Region willkommen heißen – im wahrsten Sinne des Wortes. Da liegt es nahe, das Wort „Willkommen“ auch grafisch beziehungsweise fotografisch umzusetzen. So entstand die Idee, dass wir Menschen, die Flüchtlingsinitiativen repräsentieren oder vertreten, bitten, mit den Händen ein W wie Willkommen zu formen. Hinter all diesen Leuten, die für uns das W geformt haben, stehen Initiativen mit Freiwilligen, die spontan ihre Freizeit opfern, um denen zu helfen, die aus der Fremde kommen. Es ist gleichzeitig der Versuch, auch als Nordsee-Zeitung aus Überzeugung Position zu beziehen. Wir wollen deutlich machen, dass wir als Partner mit im Boot sind, wenn es darum geht, Flüchtlingen zu helfen.

Wie sieht die Umsetzung in der Nordsee-Zeitung aus?

Es ist eine Doppelseite entstanden, auf der wir die ersten Initiativen im Cuxland und in der Stadt Bremerhaven vorgestellt haben. Anschließend räumen wir diesen Menschen und ihren Initiativen einen Serienteil ein, in dem Kontakte und Adressen zu finden sein werden, damit jeder sich melden kann, der spenden möchte und helfen will. Wir veröffentlichen die Artikel im Blatt und auch auf unserer Website. Wir wollten nachhaltig sein und am Ball bleiben. So sind weitere redaktionelle Aspekte geplant, um das Flüchtlingsthema so in die Öffentlichkeit zu bringen, dass sich die Einheimischen angesprochen fühlen. Wir wollen aufklären, um Barrieren zu überwinden und Ängste vor Fremden abzubauen.

Auf welchem Weg finden Sie die Initiativen und Menschen, die Sie vorstellen?

Entweder wir kennen die Personen schon von anderen Begegnungen oder die Initiativen melden sich uns. In meinem Fall ist es so, dass ich in einer Stadt im Landkreis Cuxhaven lebe, in der sich viele Initiativen entwickelt haben. Dann gibt es aber auch immer wieder Hinweise – sowohl per E-Mail als auch über Facebook – wo neue Hilfsgruppen entstehen.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten momentan an dem Thema?

Etwa sechs bis acht Kollegen.

Nordsee-Zeitung
Mit einem Klick aufs Bild gelangen Sie zum PDF

Warum haben Sie sich dafür entschieden, nur Ehrenamtliche vorzustellen?

Wir sind der Ansicht, dass das Ehrenamt langfristig trägt. Es ist der soziale Kitt unserer Gesellschaft. Wir wollten in diesem Zusammenhang den Ehrenamtlichen den Vorrang geben. Für uns zählt der Mensch, der sich ehrenamtlich aufmacht, um anderen in der Not zu helfen. Das Ehrenamt ist für uns tragende Säule auch bei vielen anderen gesellschaftlichen Vorgängen. Zum Beispiel im Vereinswesen oder bei der Nachbarschaftshilfe. Ohne Ehrenamt läuft heutzutage gar nichts mehr.

Sie haben das W als Symbol für Willkommen eingeführt und die Menschen, die sie vorstellen, mit den Händen ein W formen lassen. War es notwendig, ein Symbol zu haben?

Unser Logo „Willkommen“ hat einen hohen Wiedererkennungswert. Das weckt die Aufmerksamkeit unserer Leser. Und ist ein Hinweis für all diejenigen, die helfen wollen.

Sie sehen Ihre Zeitung als Mediator beim Thema Flüchtlinge. Was meinen Sie genau damit?

Wir moderieren einen Prozess, der schnell und veränderlich, aber in seiner Konsequenz für die Gesellschaft unumkehrbar ist. Wir wollen bei dieser rasanten Entwicklung, die auch bei uns im Landkreis und in der Seestadt Bremerhaven vor sich geht, eine Art Leuchtturm sein. Wir wollen jemand sein, der Drehscheibe ist und Ansprechpartner zugleich.

Welche Aufgabe hat eine Lokalzeitung in der Flüchtlingsfrage?

Wir können personell keine Behördengänge stemmen, wir können keine Wohnungen besorgen, und wir können uns nicht in den Alltag der Menschen einklinken. Das schaffen wir personell nicht. Und das ist auch nicht unsere Aufgabe. Aber wir können Gesprächsforen anbieten und vermitteln.

Wie sehen die Rückmeldungen auf Ihre Aktion aus?

Die Initiativen sind froh, dass sie bei uns eine Plattform finden. Und wir sind es auch, weil wir auf diese Weise die Bindung zwischen Leser und Blatt stärken können. Leser-Blatt-Bindung ist zwar ein strapaziertes Wort, aber es ist heutzutage wichtig, dass man mit seinen Lesern in Kontakt ist und zeigt, dass man Teil von ihnen ist. Die Reaktionen der Leser sind absolut positiv! Wir haben immer wieder Leute, die sich freuen, die sich über Facebook bedanken oder in Mails sagen: „Vielen Dank, jetzt weiß ich, wie und wo ich helfen kann!“ Die Leute fühlen sich ermutigt, nach vorne zu gehen und Veranstaltungen zu organisieren. Das ist ein Geben und Nehmen.

Wie gehen Sie mit hasserfüllten Kommentaren um?

Wir schauen uns solche Kommentare genau an und nehmen sie dann gegebenenfalls aus dem Netz. Wir nehmen die Äußerungen nicht unkommentiert raus. Man muss mit den Menschen reden. Man muss sie entsprechend informieren. Und dabei hat man auch noch einmal die Möglichkeit, sich selber zu positionieren.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Sorgen und Hetze?

Das ist eine Frage, die schwierig zu beantworten ist. Manchmal merkt man es gleich, und manchmal ist der Übergang fließend. Unsere Chefredaktion schaut da jedenfalls genau hin. Da muss man aufmerksam bleiben und von Fall zu Fall entscheiden.  In jedem Fall ist es jedoch wichtig, den direkten Kontakt mit den Absendern zu suchen. Manchmal erledigt sich in einem Telefonat vieles.

Was ist letztlich das Ziel ihrer Aktion?

Wir schielen in diesem Fall nicht auf die Auflage. Wir schauen darauf, dass wir einen Teil des sozialen Friedens mitsichern können. Und dass wir als Meinungsträger in der Öffentlichkeit einen wichtigen Prozess zur Aufklärung mitgestalten können. Ich wünsche mir viele Nachahmer. Ich wünsche mir, dass Ängste durch direkten Kontakt abgebaut werden. Wir haben es hier mit einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung zu tun, die wir nicht mehr wegdiskutieren können. Ich sehe in den Einwanderern und Flüchtlingen auch eine Chance für Städte und Gemeinden, die vielfach dem demographischen Wandel unterliegen, die unter Facharbeitermangel leiden und so weiter. Insofern können Asylbewerber eine Chance für unsere Gesellschaft sein.

Kontakt

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.