Interview

„Wenn der Protest sich laut genug meldet, sollte man ihn anhören“

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Die Frage, ob die Energiewende gelingt oder nicht, wird landauf, landab heftig diskutiert. Eine entscheidende Rolle könnte dabei auch der Ausbau der Windkraftnutzung spielen. Aber immer öfter kommt es an den Standorten, an denen Windräder errichtet werden sollen, zu Bürgerprotesten. Wie sollen Lokalredaktionen damit umgehen? Darüber sprach die drehscheibe mit Peter Schwarz von der Waiblinger Kreiszeitung.

Ausschnitt der Waiblinger Kreiszeitung
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Herr Schwarz, in Ihrem Einzugsgebiet gibt es Proteste gegen Windkraftanlagen. Sie haben mit Ihrer Berichterstattung auch schon den Unmut der Protestler auf sich gezogen. Was wurde der Redaktion vorgeworfen?

Der Protest hat sich an einem Windkraftprojekt der Stadt Waiblingen entzündet. Die besitzt ein Stück Gemeindewald, das kurioserweise zwischen den Markungen anderer Gemeinden liegt, also eine Art Exklave. Dort sollen Windräder errichtet werden. Nun ist es so, dass in Waiblingen wohl die Mehrheit für diese Windräder ist, rund herum aber haben sich die Einwände gemehrt. Uns war zunächst nicht klar, dass bereits ein derart starker Protest entstanden war. Wir waren traditionell der Meinung, Windkraft sei gut – wir hatten ja hier Hermann Scheer, den Solarpapst, als Wahlkreisabgeordneten – und wir haben diese Gegenbewegung zunächst nicht richtig wahrgenommen.

Eines Tages war dann ein freier Mitarbeiter bei einer Podiumsveranstaltung des Regierungspräsidiums, und er hat berichtet, dass sich einiges an Protest formiert hat. Daraufhin haben wir das Gespräch mit den Windkraftgegnern gesucht und festgestellt, dass sie uns mit Vorbehalt begegnen.

Inwiefern?

Das lief nach dem Motto: Ihr seid doch sowieso für Windräder! Was in Bezug auf mich ja auch stimmte. Aber uns stellte sich nun die Frage: Wie gehen wir damit um? Und als Blaupause haben wir die Erfahrungen herangezogen, die die Kollegen in Stuttgart mit Stuttgart 21 gemacht haben. Denn die dortige Protestbewegung hatte ja deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht ausreichend berücksichtigt fühlt und kein Gehör findet für ihre Argumente.

Wir kamen dann zu dem Schluss, dass wir zwar als Zeitung nicht immer neutral sein müssen, das Stimmungspanorama aber vollständig abbilden müssen, weil sich die Protestbewegung sonst andere Kanäle sucht. Und das ist nicht gut für eine Zeitung, denn sie sollte die Debatte in einer Gemeinde darstellen und begleiten.

Beim Thema Stuttgart 21 haben manche Lokalzeitungen ja lange gebraucht, bis sie das Protestpotential richtig einschätzten. Wie erkennt man als Journalist die Bedeutung einer Protestbewegung? Hängt das von der Masse der Protestierenden ab oder gibt es weitere Kriterien?

Das banalste Kriterium ist die Hörbarkeit. Wenn der Protest sich laut genug meldet, sollte man ihn zumindest einmal anhören. Von der Antiwindkraftbewegung hier in der Gegend kann ich bis heute nicht sagen, ob sie in dem einen oder anderen Ort eine Mehrheit darstellt. Da hat man sich ja bei Stuttgart 21 auch geirrt, wo die Gegner gesagt haben: Wir sind das Volk. Das hat sich ja in der Volksabstimmung dann so nicht bestätigt.

Wie kann eine Lokalredaktion sachlich berichten und gleichzeitig die Emotionen der Leser berücksichtigen?

Wir sind in unserem Fall einfach offensiv auf diese Leute zugegangen und haben gesagt, dass sie jederzeit zu uns kommen und ihre Argumente darstellen können. Wir schreiben dann darüber. Der erste Schritt ist, dass man sich kennenlernt und sich austauscht. Wir haben schon im ersten Gespräch relativ deutlich gemacht, dass wir uns nicht als ihr Sprachrohr verstehen und nicht ihr Kampagnenmedium sind, sie aber zu Wort kommen lassen und ihre Argumente darstellen wollen. Und es gibt ja auch Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind. Das Gebiet, um das es geht, ist in einem hoch verdichteten Raum einer der letzten Rückzugsorte. Es liegt mitten im Wald, es ist ein Naherholungsgebiet. Egal wie man zur Windkraft steht, man kann sich da schon fragen, ob das der richtige Ort für eine Anlage ist. Wir haben den Leuten signalisiert, dass wir über ihr Anliegen berichten werden. Die Windkraftgegner glaubten anfangs sogar, wir würden ihre Leserbriefe unterdrücken. Natürlich haben wir da entgegnet, dass sie so viel schreiben können, wie sie wollen, und wir das auch abdrucken, weil es zu einer lebendigen Streitkultur beiträgt. Wir haben sie früh darauf eingestimmt, dass wir das als unsere Aufgabe ansehen und dass sie auch damit leben müssen, dass andere zu Wort kommen.

Hat Ihr Umgang mit der Bewegung positive Wirkungen gezeigt?

Ich glaube schon. Die Windkraftgegner kommen immer wieder auf uns zu und suchen das Gespräch. Sie nutzen das Podium, rufen aber auch an, wenn ihnen wieder etwas nicht gepasst hat. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Wir widerlegen auch mal ihre Argumente. Es gibt eines, das fast in jedem Flyer steht, nämlich, dass die Weltgesundheitsorganisation angeblich fordert, dass Windräder einen Mindestabstand von 2000 Metern zu Wohnsiedlungen haben müssten. Wir haben beim Deutschlandbüro der WHO nachgefragt und erfuhren, dass es von der Organisation dazu keinerlei Empfehlung gibt. Wir haben dies dann veröffentlicht, was den Windkraftgegnern natürlich überhaupt nicht gepasst hat.

Ein Beispiel für Gegenrecherche. Welche anderen journalistischen Formen spielen in Ihrer Berichterstattung eine Rolle?

Wir haben zum Teil kommentiert – und zwar widersprüchlich. Unser Redaktionsleiter etwa hat in Richtung der These argumentiert, dass man diese Windräder nicht durchsetzen kann, wenn es so viel Protest dagegen gibt. Wir hatten aber auch ganz andere Kommentare. Ich habe zum Beispiel aus einem anderen Ort berichtet, in dem ein Windrad steht und wo es anfänglich große Widerstände gegeben hat. Dort ist das Windrad heute fast ein Identifikationsobjekt. In einem anderen Meinungsartikel habe ich den Stil des hiesigen Protestes untersucht und mit Stuttgart 21 verglichen. Man findet in beiden Bewegungen Beispiele von enormer Faktensicherheit bis hin zu Verschwörungstheorien. Manchmal sind solche Bewegungen ja gründlicher im Recherchieren als wir, weil es für sie ein Lebensanliegen ist, nicht nur ein Job. Manche sind wirklich unglaublich tief in die Materie eingearbeitet. Und gleichzeitig existieren die Verschwörungstheorien, dass da irgendwelche finsteren Lobbyisten die Fäden ziehen, dass die Presse gleichgeschaltet ist und so weiter. Diesen Vergleich der Protestkultur fanden übrigens weder die Windkraftgegner, noch die S21-Gegner gut. Da wollte sich keiner mit den anderen vergleichen lassen. Die S21-Gegner nannten die Windkraftgegner „Energiewendeverweigerer“, die Windkraftgegner nannten die S21-Gegner „Wutbürger“.

Wie beziehen Sie Leser in die Berichterstattung ein?

Wir haben keine eigene Veranstaltung zum Thema angeboten, weil es schon so viele dazu gab: Das Regierungspräsidium hat öffentliche Veranstaltungen durchgeführt, die Initiativen, die Grünen im Wahlkampf, da sahen wir keinen Bedarf. Wir sind eher klassisch unterwegs und spiegeln es im Blatt und drucken ungefilterte Leserbriefe. Zum Teil liefen im Internet Debatten, die haben wir dann auch gespiegelt.

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