Ein Fall für den Presserat

E-Mail falsch verschickt

von

Der Fall:

Eine Zeitung verabredet mit einer örtlichen Bundestagsabgeordneten eine Kolumne. Weil die Politikerin sich nicht an die vereinbarten Spielregeln hält, verzichtet die Zeitung auf den Abdruck. Das verdrießt die Parlamentarierin. Sie schickt eine Mail an einen ihrer Mitarbeiter und macht ihrem Ärger Luft: „Das ist schon frech, was die sich so leisten. Wir müssen wirklich eine Strategie ausarbeiten, wie wir denen einen Strich durch die Rechnung machen können.“ Weiter teilt sie mit, dass sie sich mit dem Vertreter eines anderen Mediums treffen werde. Die Mail erreicht nicht – wie  beabsichtigt – den Mitarbeiter, sondern landet versehentlich bei der Zeitung selbst. Diese veröffentlicht die nicht für sie bestimmte Mitteilung, um so das Demokratieverständnis der Abgeordneten öffentlich zu machen. Mehrere Leser der Zeitung beschweren sich beim Presserat. Einer von ihnen sieht die informationelle Selbstbestimmung der Abgeordneten verletzt. Ein anderer kritisiert, dass die Zeitung die Bitte der Abgeordneten missachtet habe, die Mail nicht zu veröffentlichen. Ein weiterer Leser hält es für unlauter, ein privates Schreiben zu veröffentlichen und die Parlamentarierin derart vorzuführen.

Die Redaktion:

Die Zeitung hält der Kritik der Leser entgegen, dass die Abgeordnete die E-Mail als Mitglied des Bundestages geschrieben und mit ihrem Namen und dem Zusatz „MdB“ versehen habe. Ihr Verhalten und ihre schriftliche Äußerung seien deshalb von öffentlichem Interesse und hätten veröffentlicht werden dürfen. In der fraglichen E-Mail gehe es darum, wie man der Zeitung und den Beschäftigten Schaden zufügen könne. Sie wurde in öffentlicher Funktion geschrieben und falle damit nicht in den Schutzbereich der Privatsphäre. Die Mail belege eine kritikwürdige Haltung der Abgeordneten zur Pressefreiheit.

Das Ergebnis:

Die Zeitung hat gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Die Argumentation, die E-Mail belege eine kritikwürdige Haltung der Abgeordneten zur Pressefreiheit, wäre in der Tat von öffentlichem Interesse. Eine solche Einordnung durch die Redaktion hätte jedoch erfordert, dass sie sich mit dem Thema journalistisch auseinandersetzt. Aus Sicht des Presserats ist der Inhalt der fehlgeleiteten E-Mail keineswegs so klar und eindeutig interpretierbar, wie es die Redaktion in der Veröffentlichung darlegt. Eine weiter gehende Recherche wäre erforderlich gewesen. Insbesondere hätte die Zeitung der Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Eine wörtliche Veröffentlichung der E-Mail, einzig verbunden mit Informationen zur Entstehung und kommentierenden Schlussfolgerungen der Redaktion, erfüllt dagegen nicht die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht und begründet in der vorliegenden Form noch kein überwiegendes öffentliches Interesse. Der Presserat spricht deshalb einen Hinweis aus.

Der Kodex:

Ziffer 2 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.

Edda Eick

Autorin

Edda Eick ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon 030 – 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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