Sexismus-Umfrage

„Die Kolleginnen wissen sich zu wehren“

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Die Vorwürfe einer Stern-Reporterin gegen Rainer Brüderle, den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, haben eine Diskussion über Sexismus und Journalismus entfacht. Die drehscheibe interessierte, ob die Debatte auch in Lokalredaktionen geführt wird. Hatten Mitarbeiterinnen schon Probleme mit Gesprächspartnern? Und wie gehen die Redaktionen in ihrer eigenen Arbeit mit der Geschlechterfrage um? Gibt es zum Beispiele interne Sprachregelungen? Ein Umfrage unter Kolleginnen und Kollegen und eine Anfrage beim Deutschen Presserat.

Wir stellten zwei Fragen:

1. Gibt es in der Redaktion Regeln zum nicht-sexistischen Sprachgebrauch, zum Beispiel was männliche und weibliche Schreibweisen betrifft? Wenn ja, wie sehen diese Regeln aus?

2. Wurde in der Redaktion im Zuge der jüngsten Debatte noch einmal über den Umgang von Journalistinnen mit Politikern oder lokalen Größen gesprochen? Gibt es hierzu Verhaltensregeln? Wie wird mit etwaigen Verfehlungen von Interviewpartnern umgegangen?

Vorurteile von Männern ausnutzen

1. Es gibt keinen expliziten Regelkanon, eher feste Gepflogenheiten, zum Beispiel, in der Anrede stets von Leserinnen und Lesern zu sprechen (und zwar in dieser Reihenfolge). Andere Gender-Schreibweisen mit / oder -Innen sind tabu, weil sie den Lesefluss zu stark aufbrechen. An eine Debatte mit Leserinnen oder Lesern über diese Frage kann ich mich nicht erinnern.

2. In der Redaktionskonferenz war die Sexismus-Debatte natürlich ein Thema, allerdings beide Phänomene: der Sexismus und die Debatte. Explizite Verhaltensregeln für solche Fälle haben wir nicht. Konkrete Fälle, in denen unsere Journalistinnen sich ernsthaft belästigt und bedrängt gefühlt haben, sind zumindest aus jüngerer Zeit auch nicht bekannt. Von größerer Reichweite scheint besonders für jüngere Kolleginnen die Erfahrung zu sein, von männlichen Politikern in ihrem Beruf schlicht nicht oder weniger ernst genommen zu werden. Daraus wiederum resultiert ein anderes, der Sexismus-Debatte eher gegenläufiges Phänomen: Es kann mitunter eine redaktionelle Recherche-Strategie sein, diese Vorurteile und das Imponiergehabe von Männern auszunutzen und bewusst Kolleginnen mit der Befragung männlicher Politiker zu betrauen.

Frank Werner, Chefredakteur der Deister- und Weserzeitung (DeWeZet)

Das hätte ich sehr schnell geklärt

1. Nein, diese Regeln gibt es bei uns nicht. Einen respektvollen Umgang miteinander und mit Dritten leben wir, den müssen wir nicht verordnen.

2. Wir haben - übrigens sehr kontrovers - über die gesamtgesellschaftliche Debatte gesprochen. Würde eine meiner Mitarbeiterinnen wegen ihres Geschlechts herabgewürdigt oder unangemessen behandelt, hätte sie in mir die beste Verbündete. Glauben Sie mir, das hätte ich sehr schnell geklärt. Umgekehrt besetzen wir Termine oder Interviews themen- und nicht personenbezogen.

Isabell Funk, Chefredakteurin Trierischer Volksfreund

Klare Ansage an den Gegenüber

1. Für unsere Arbeit ist das eine eher unerhebliche Frage. Das Thema gibt es schließlich schon seit langem. Ob in einem Artikel beispielsweise von „Lehrerinnen und Lehrern“ oder der „Lehrerschaft“ gesprochen wird, bleibt Ermessensspielraum des Autors. Falls aber jemand einen „Lehrkörper“ ins Blatt heben würde, käme eine Ansage. Die Gefahr sehe ich aber nicht. Die Kolleginnen und Kollegen werden fürs (Mit-)Denken bezahlt. Kocht ein Thema hoch und besteht Handlung- bzw. Informationsbedarf, gibt es die täglichen Newsdesk-Runden oder Ressortkonferenzen. Ergebnisse werden bei Bedarf per Mail an die Mannschaft verschickt und im Intranet bzw. Stilbuch der Redaktion dokumentiert.

2. Natürlich wurde über den Umgang von Journalistinnen und Journalisten mit Politikern bzw. Politikerinnen gesprochen. Vor dem Hintergrund der Posse zwischen Rainer Brüderle und Laura Himmelreich kam es schnell zur Gretchenfrage „Wie hättest Du reagiert?“ Wichtig für mich als Mitglied der Chefredaktion: Bis heute hat sich keine Kollegin darüber beschwert, dass sie sich während ihrer Arbeit anzügliche Äußerungen von Männern hat anhören müssen. Es wäre jetzt mehr als blauäugig zu glauben, dass es deshalb sexistische Witze oder zotige Bemerkungen nicht gegeben hätte. Ich bin mir aber sehr sicher, dass unsere durch die Bank sehr selbstbewussten Redakteurinnen in derartigen Situationen den Umständen entsprechend reagiert haben. Entweder mit einer klaren Ansage an den Gegenüber oder dem Abbruch des Gesprächs. Um das Beispiel Brüderle/Himmelreich noch einmal zu bemühen: Persönlich hätte ich durchaus eine gewisse Sympathie für jede Kollegin, die im Falle einer „drohenden Nähe“ des Gesprächspartners den Inhalt ihrer Cola light nicht im Glas behalten hätte. Die Rechnung für die Reinigung eines Herrenhemdes hätte die Neue Osnabrücker Zeitung gezahlt. Den Brief der Chefredaktion an den Träger des Hemdes hätte es in jedem Fall gratis gegeben.

Berthold Hamelmann, Chefredaktion Neue Osnabrücker Zeitung

Uneinheitliches Meinungsbild

1. Die Sprachregeln der Westfalenpost im redaktionellen Teil lehnen sich an die Agenturregeln an (nur ein Plural, entweder männlich oder weiblich). Im Schriftverkehr sprechen wir dagegen von Leserinnen und Lesern o.ä.

2. Natürlich haben auch wir über Sexismus debattiert – mit sehr uneinheitlichem Meinungsbild: Das reichte von der Auffassung, die Debatte sei hysterisch, bis zu „endlich sagt es mal eine“. Die beste Empfehlung zum Verhalten zwischen Männlein und Weiblein ist meines Erachtens eine gute Kinderstube. Und Verfehlungen im Job haben arbeitsrechtliche Konsequenzen. Dafür haben wir Gesetze.

Stefan Klaesener, Chefredakteur der Westfalenpost (Hagen)

Die Kolleginnen wissen sich zu wehren

1. Wir haben keine verbindlichen Regeln. In der täglichen Blattkritik machen die Kollegen der Redaktionsleitung oder ich selber immer wieder auf dumme Formulierungen und Angewohnheiten aufmerksam, etwa bei porträtierten Frauen auf das Äußere hinzuweisen, was übrigens Redakteurinnen genauso machen wie Redakteure. Genderregeln gibt es ansonsten nicht. Spannend ist ja, sich diese tradierten Denkmuster bewusst zu machen und sie dann aufzubrechen, auch bei all den Dingen, die zwischen den Zeilen stehen.

2. Nein, die Kolleginnen wissen sich zu wehren.

Joachim Braun, Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers (Bayreuth)

Immer sauber arbeiten

1. „Es gibt bei uns im Lokalteil Regeln zum Sprachgebrauch, etwa dass ein Mal am Anfang der Geschichte beide Geschlechter erwähnt werden. Im weiteren Verlauf kann dann die männliche Form benutzt werden, außer Frauen oder Mädchen sind im Text in der Mehrzahl, dann wird die weibliche Form benutzt. Diese Regel ist jedoch nirgends schriftlich festgehalten. Der korrekte Sprachgebrauch spielt bei der Berner Zeitung durchaus eine Rolle. Ich bin da sehr sensibel, die Kolleginnen und Kollegen können ein Lied davon singen. Man sollte in dieser Frage immer sauber arbeiten.“

Christine Nydegger, Leiterin der Lokalredaktion der Berner Zeitung

Hier übrigens ein Beispiel aus der drehscheibe aus dem Jahr 1987. Schon damals berichteten wir darüber, wie die Berner Zeitung versucht, Sprache nicht-sexistisch zu gebrauchen.

Kritische Distanz gegenüber Politikern

1. Ob männliche oder weibliche Schreibweisen einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch dokumentieren, sei dahingestellt. Aber in der Schwäbischen Zeitung verwenden wir die weibliche Form, wenn der Träger eines Amtes weiblich ist. Grundsätzlich schreiben wir mit Respekt gegenüber anderen. Dazu gehört selbstverständlich auch der Respekt gegenüber Frauen.

2. Etwaige Verfehlungen sollten der Chefredaktion gemeldet werden. Grundsätzlich halten wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kritischer Distanz gegenüber Politikern an, fordern von ihnen, dass sie das Interesse des Lesers an erster Stelle sehen.

Christoph Plate, stellvertretender Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung (Ravensburg)

Die Debatte führen wir schon lange

1. Die Debatte um das große I, um Diskriminierung in der Sprache, führen wir schon lange in unserer Zeitung, zum Beispiel in der Kolumne „Friedhof der Wörter“. Im November begann die Kolumne so: „Frauen sind die Benachteiligung leid, lehnen sich dagegen auf und erregen sich über die Sprache, die überwiegend männlich geprägt ist. Warum nur sind der Gott und der Mensch männlich?“ Zitiert wird dann aus einem Infobrief der Erfurter „Linke“: „Ein Parallelität zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht (Genus und Sexus) besteht nicht.“ Und die Kolumne endet: „Zudem ist unsere Sprache ungerecht auch zu den Männern: Warum ist die Brüderlichkeit  weiblich und der Hampelmann männlich? Die Liebe weiblich und der Hass männlich? Der Verbrecher männlich, auch der Sündenbock und der Taschendieb - oder haben Sie schon einmal gelesen: Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt?“ Es ist Unsinn, die Debatte um den „Sprachgebrauch“ in die „sexistische“ Ecke zu stellen. Das ist zu viel Ehre für Herrn Brüderle.

2. In unserer Thüringer Zeitungsgruppe hat Hans Hoffmeister, Chefredakteur der TLZ, Beispiele geliefert, wie ein Manager aufdringlich wurde: „Ein namhafter Kaufhaus-Boss schickte seine eigene Ehefrau vor, um eine TLZ-Redakteurin fragen zu lassen, ob sie mit ihm schlafen wolle. Als es rauskam, schenkte er ihrem Mann ein Gummibärchen.“ Zudem schildert Hoffmeister den Auftritt eines Ex-Ministerpräsident in Thüringen bei einem Landesparteitag in Eisenach, „wo er dem vorn neben ihm sitzenden Silvergirl so überschwänglich für die gute Organisation dankte, dass die ganze wahrscheinlich schon bierselige Männerhorde im Saal ,Küsschen, Küsschen‘ grölte, worauf er sie schnappte und ihr tatsächlich einen langen, scharfen Kuss verpasste. Zum Gaudi der Gemeinschaft.“ In seiner Zeitung schildert Hans Hoffmeister auch, welche „Verhaltensmaßregeln“ für die Redakteurinnen gelten: „An der Bar, immer schon Ort der Kontaktanbahnung dieser oder jener Art, kann eine Frau bei verbalen Übergriffen, bei Grenzüberschreitungen, drei Schritte zurücktreten, den Politiker zu einem Kurzgespräch unter vier Augen zur Seite bitten und gesichtswahrend Klarheit schaffen.“

Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen (Erfurt)

Gegenseitiger Respekt

1. Die Mediengruppe Oberfranken hat hierzu eine Organisationsanweisung zur geschlechterneutralen Formulierung aufgesetzt und an die Belegschaft des Hauses weitergegeben. Sprache spiegelt gesellschaftliche Werte und Normen wider und prägt wesentlich das Bewusstsein der Menschen. Insofern sieht sich die Mediengruppe Oberfranken in einer besonderen Verantwortung eine geschlechtergerechte und somit geschlechtsneutrale Sprache im gesamten Unternehmen zu verankern. Die Geschäftsleitung hat im Rahmen der Organisationsanweisung einige Empfehlungen zum Umgang mit diesem Thema ausgesprochen und anhand von Beispielen haben wir unseren Kolleginnen und Kollegen das Thema näher gebracht.

2. Verfehlungen, in welche Richtung auch immer, können sowohl gegenüber dem weiblichen, wie auch dem männlichen Geschlecht passieren. Eine besondere Regelung für Journalistinnen gibt es in unserem Hause deshalb nicht. Die redaktionellen Führungskräfte sind allerdings jederzeit Ansprechpartner in solchen Fällen und bei entsprechenden Geschehnissen würden wir als Haus selbstverständlich eingreifen und mit den Beteiligten ein Gespräch suchen. Bisher sind uns allerdings keine derartigen Ereignisse bekannt. Wir pflegen im Rahmen der Pressefreiheit stets einen offenen und guten Umgang mit lokalen Größen und Politikern. Dabei ist der gegenseitige Respekt für uns besonders wichtig.

Martin Wilbers, Mediengruppe Oberfranken, Leiter Unternehmenskommunikation (Fränkischer Tag u.a.)

Außerdem fragten wir beim Deutschen Presserat nach, wie viele Beschwerden in Sachen Sexismus in im Jahr erreichen.

Auskunft vom Presserat

Der Presserat erhält pro Jahr etwa ein bis zwei Beschwerden zu den Aspekten Sexismus, Frauenfeindlichkeit etc. Eine ab- oder zunehmende Tendenz lässt sich hier nicht feststellen. Sie werden unter Ziffer 12 des Pressekodex (Diskriminierung) behandelt. Im Jahr 2012 ist keine Beschwerde hiervon im Beschwerdeausschuss des Presserats behandelt worden.

Aktuell gingen in den vergangenen Tagen drei Beschwerden zu dem Thema ein:

Es liegt dem Presserat eine Beschwerde gegen zwei Kolumnen „Post von Wagner“ / Bild vor. Hier geht es um den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Im Fokus der Kritik stehen die Kolumnen zum Doktortitel von Annette Schavan und zur Begegnung zwischen FDP-Politiker Rainer Brüderle und der Stern-Journalistin Laura Himmelreich.

Zwei weitere Beschwerden liegen inzwischen gegen den die derzeitige Diskussion auslösenden Stern-Artikel „Der Herrenwitz“ vor. Hier geht es jedoch um Fragen der journalistischen Sorgfaltspflicht.

Alle drei Beschwerden befinden sich noch im Anfangsstadium, im sogenannten Vorprüfungsverfahren beim Presserat.

Lutz Tillmann, Geschäftsführer des Deutschen Presserats

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