Presserat

Klima-Aktivisten durchleuchtet

von

aus drehscheibe 06/2023

Der Fall 

Das Online-Portal einer Boulevardzeitung fragt „Wer sind eigentlich diese Klima-Chaoten?“ und stellt unter dieser Überschrift sechs Aktivisten der „Letzten Generation“ mit Foto und Namen vor. Die Porträts der Betroffenen stammen von deren Profilen in den sozialen Medien. Kurze Beiträge enthalten teilweise private Details: Ein Aktivist sei wegen Drogen aufgefallen, eine andere bezeichne sich als „Sex-Arbeiterin“, heißt es. Ein User kritisiert gegenüber dem Presserat die Veröffentlichung von Namen, Beruf, Alter, Fotos und der sexuellen Orientierung der Betroffenen. Er sieht deren Persönlichkeitsschutz verletzt.

Die Redaktion 

Die Rechtsabteilung des Verlags hält die Beschwerde für unbegründet. Die Aktivisten legten es doch gerade darauf an, mit ihrer Persönlichkeit und ihren Handlungen öffentlich wirksam aufzutreten – insofern könne ja wohl kaum davon die Rede sein, dass ein bewusst in die Öffentlichkeit getragener Klima-Aktivismus irgendwie „Privatsache“ sei. Mit anderen Worten: Die Protestler verwirkten bewusst und willentlich – als Verursacher von gezielt öffentlich wahrnehmbaren Protestaktionen – ihr Recht auf individuelle Anonymität.

Die Entscheidung 

Der Beschwerdeausschuss hält die Beschwerde für unbegründet. Die Mehrheit der Mitglieder kommt zu dem Schluss, dass alle in der Bildergalerie gezeigten Betroffenen mit ihren Aktionen bewusst die Öffentlichkeit suchen und deshalb in Kauf nehmen müssen, identifizierbar in den Medien aufzutauchen. Auch die Erwähnung der sexuellen Orientierung bzw. die Hinweise auf den Drogenkonsum einzelner Aktivisten sind in diesem Fall nicht vom Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex geschützt. Denn diese Informationen – auch zu intimen Details wie der sexuellen Orientierung – haben die Betroffenen auf ihren Profilen in den sozialen Medien oder an anderer Stelle selbst veröffentlicht. Insofern müssen sie akzeptieren, dass die Redaktion diese Informationen aufgreift und bewertet.

Kodex

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine ­informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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