Künstliche Intelligenz und Lokaljournalismus

Künstliche Intelligenz schlau nutzen

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KI wird den Journalismus verändern (Foto: AdobeStock/metamorworks).
KI wird den Journalismus verändern. Ist der Lokaljournalismus dafür bereit? (Foto: AdobeStock/metamorworks).

Der Frühling bringt neues Leben,
eine Zeit voller Freude und Glück.
Lass uns die Natur genießen,
denn sie ist ein wunderbares Stück.

Als vor einigen Monaten die ganze Welt zum ersten Mal über ChatGPT sprach und staunte, setzte ich mich an meinen Computer und bat die künstliche Intelligenz um ein Frühlingsgedicht. Was ChatGPT da ausspuckte, war zum Schießen (siehe oben). Inzwischen ist mir das Lachen vergangen. Aber nicht, weil unsere Redaktionen Angst vor diesen KI-Tools haben müssten. Meine Sorge ist vielmehr, dass wir nicht schnell genug sind, um KI optimal für uns zu nutzen. Denn was wir erleben, ist kein evolutionärer Prozess, sondern eine technische Revolution. KI wird nämlich besser und besser, und zwar rasant. Machen wir jetzt wieder den Fehler wie einst, als maßgebliche Leute in den Verlagen der Überzeugung waren: Das Internet, das geht wieder vorbei?


Der Zeitpunkt ist jetzt 

Ich bin überzeugt, dass wir keine Sekunde verlieren dürfen. Wir sollten KI nutzen, um Produktionsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. KI kann uns helfen, Ressourcen freizuschaufeln für journalistische Kreativität, für das Ausprobieren und Etablieren neuer digitaler Berichterstattungsformen und Produkte, schlicht für das, was wir am besten können, wenn wir Zeit dafür haben: für lokalen und regionalen Qualitätsjournalismus, und zwar auch auf den Kanälen, in denen sich die Zielgruppen bewegen, die wir bisher nicht gut genug erreichen.

Was spricht also dagegen, wenn uns bald schlaue Maschinen helfen, Zeitungsseiten schneller zu bauen, passende Fotos zu finden, Illustrationen zu entwerfen, Überschriften und Teaser-Vorschläge zu generieren? Letzteres funktioniert mit ChatGPT hervorragend. Unredigierte Texte lassen sich von Übersetzungsprogrammen wie DeepL auf Knopfdruck korrigieren. Auch diesen Artikel habe ich durch DeepL laufen lassen. Dabei kamen gute Neuformulierungen heraus. Das ist sehr viel mehr, als man von bisherigen Korrekturprogrammen erwarten konnte.

Print läuft ab

Natürlich muss am Ende immer noch ein Mensch die Ergebnisse prüfen. Aber diese Ergebnisse sind schon jetzt überzeugend, weil das, was die KI ausspuckt, deutlich besser ist als das, was eingegeben wurde. Das gefährdet unsere Arbeitsplätze nicht. Es erleichtert und sichert sie, weil wir effizienter werden. Print, machen wir uns bitte nichts vor, hat zumindest im Hinblick auf eine tägliche Erscheinungsweise ein Enddatum. Bis dahin müssen wir es als immer teureres Premiumprodukt betrachten, das wir zugleich mit immer weniger Aufwand produzieren, ohne dass es billig aussieht. Dieser Spagat ist ohne KI nicht zu meistern. Wer heute mit Musterlayouts arbeitet, lässt sich Seiten morgen komplett vom Computer bauen, die nach von Redakteuren vorgegebenen Layout- und Priorisierungsregeln immer brauchbarere Ergebnisse liefern.

Denkanstöße nutzen 

Auch der kreative Journalismus kann, unabhängig von der Ressourcen-Umschichtung, unmittelbar von KI profitieren. Das fängt bei der Themenauswahl an und bei der Frage, welche Debatten kurz davorstehen, viral zu gehen, sodass wir auf einer sich aufbauenden Welle mitsurfen können. KI kann aber auch bei der Recherche helfen und Denkanstöße geben. Selbst Texteinstiege gelingen leichter.

„Wie könnte der Einstieg in einen Text über Chancen und Risiken von KI im Journalismus aussehen? Beginne mit einem historischen Zitat.“ So lautete mein ChatGPT-Befehl, als ich mich auf diesen Artikel vorbereitete. Die brauchbare Antwort war ein Zitat des amerikanischen Konstrukteurs und Visionärs Richard Buckminster Fuller: „Die Zukunft gehört denen, die sich auf das Neue vorbereiten können, statt darauf zu warten.“

Gefahren vorbeugen 

Also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Natürlich nicht. KI beschreibt die Gefahren für den Journalismus sehr treffend. Noch ein Zitat von ChatGPT: „Der Einsatz von KI bei der Generierung von Inhalten könnte zu einer Standardisierung und einem Verlust an Vielfalt und Originalität führen.“ Und: „Die menschliche Intuition, das kritische Denken und die unabhängige Bewertung von Informationen könnten beeinträchtigt werden, wenn Journalisten blind den Empfehlungen oder Vorschlägen von KI-Systemen folgen.“

Es wird zu den vornehmsten Aufgaben redaktioneller Führungskräfte gehören, solchen Gefahren aktiv zu begegnen und sich dadurch nicht von der KI abschrecken zu lassen. Denn selbst in den Risiken, die die KI birgt, stecken wiederum Chancen. Fake News und Fake-Bilder, die sich mit KI-Tools immer leichter erstellen lassen, können – ebenfalls mithilfe der KI – als solche identifiziert und entblößt werden. Eine spannende Aufgabe für ...? – genau: den Qualitätsjournalismus.

Alexander Marinos

ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ in Essen.
E-Mail: alexander.marinos@funkemedien.de

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