Künstliche Intelligenz und Lokaljournalismus

Was KI für den Lokaljournalismus bedeutet

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Marie Todeskino ist Mitglied der Chefredaktion Ippen Digital (Foto: Johanna Lohr)
Marie Todeskino ist Mitglied der Chefredaktion Ippen Digital (Foto: Johanna Lohr)

Als Lokaljournalisten beschäftigen wir uns mit den grundsätzlichen Fragen unseres Zusammenlebens: Welche Möglichkeiten bietet eine Gemeinde? Was läuft schief? Und wie gestalten wir Austausch in Zeiten zunehmender Polarisierung? Als Netzwerk fördern wir Meinungsvielfalt vor Ort, indem wir unseren Lesern zuhören und sie jeden Tag aufs Neue unabhängig informieren. Das stärkt unsere freie Gesellschaft.

Doch wir stehen auch vor wachsenden Herausforderungen wie steigenden Kosten und fehlendem Journalistennachwuchs. Wir wollen den Lokaljournalismus aber erhalten und noch besser machen. Dabei kann uns künstliche Intelligenz (KI) helfen. Mehr noch: KI hat das Potenzial, Lokaljournalismus in seiner inhaltlichen und geografischen Breite zu retten. Für Lokalreporter ist das eine gute Nachricht: Ihr Fachwissen ist künftig noch stärker gefragt.

Viele Nischen, kleine Lesergruppen
Im Kern geht es bei lokaler Berichterstattung um einen Flickenteppich sehr unterschiedlicher Themengebiete, die vor allem in der Nische viel Aufmerksamkeit erzeugen. Die Bandbreite reicht von der Vorstandswahl im Schützenverein bis zum Ratsbeschluss. Damit funktioniert Lokaljournalismus ganz anders als bundesweite Berichterstattung: Bei überregionalen Nachrichten sind es oft wenige Themen am Tag, die viele Menschen inte­ressieren. Im Lokalen ist es andersherum: Viele unterschiedliche Themen interessieren kleine Lesergruppen. Diese kleinteiligen Leserinteressen können wir im Digitalen zunehmend schlechter abdecken, denn die Produktion ist zeitaufwendig und teuer. Den Aufwänden stehen geringe Reichweiten gegenüber, gerade in dünn besiedelten Regionen. Wir wollen aber überall eine umfangreiche Lokalberichterstattung anbieten – egal ob der Leser in Frankfurt lebt oder auf Fehmarn.

Mit Manpower können wir die vielfältigen Nischen nicht mehr bedienen – maschinell aber schon. Mit KI-Tools lassen sich große Textmengen zu unterschiedlichsten Themen leichter und schneller erstellen, verarbeiten und orchestrieren. Beispiel Polizeimeldungen: Wir schreiben heute mithilfe von ChatGPT eine Polizeimeldung in zehn Minuten, inklusive der Überprüfung des Inhalts durch einen 
Redakteur.

Viele Versionen eines Themas
Daneben stehen Journalisten generell vor einer großen Herausforderung: der Versionierung von Inhalten für eine wachsende Zahl an Distributionskanälen, Produkten und sozialen Netzwerken. YouTube, TikTok, Google oder Newsletter haben sehr unterschiedliche Anforderungen an die Aufbereitung der Inhalte. Wir benötigen also unterschiedliche Versionen des gleichen Themas für diese Netzwerke und Kanäle. Als Lokaljournalisten wollen wir möglichst viele Menschen vor Ort erreichen – auf jedem verfügbaren Weg. In kleinen Redaktionen ist das aber kaum abbildbar.

Wie lässt sich das lösen? Zwei Beispiele aus der Praxis zeigen, welche Möglichkeiten durch KI da sind: Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) bietet einen Podcast mit den wichtigsten Lokalnachrichten des Tages an. Dieser Podcast wird KI-basiert erstellt und erweitert damit das lokale Nachrichtenangebot. Zugleich stärkt er die Bindung lokaler Leser an die journalistische Marke. Ohne die voll automatisierte Lösung durch KI wäre ein solches zusätzliches Produkt gar nicht umsetzbar.
Oder Newsletter: Bei Ippen bieten wir mehr als 100 lokale Newsletter an. Diese Newsletter entwickeln wir weiter, indem wir KI-Tools einsetzen, um sie individueller und personalisierter zu gestalten. Wir können so nicht nur Newsletter für Landkreise und sogar Gemeinden anbieten, sondern künftig auch thematische regionale Newsletter. Unsere Berichterstattung wird nicht nur breiter, sondern auch inhaltlich tiefer.

Korrespondenten aus der Region
KI nimmt uns die Arbeit bei kleinteiligen Themen ab. Das bedeutet auch: Es bleibt künftig mehr Zeit für lokale Topthemen und Recherche. Autoren und Reporter können sich stärker auf den Kern ihrer journalistischen Arbeit konzentrieren. Sie haben auch mehr Zeit, um ihre Expertise auf verschiedenen Kanälen und in sozialen Netzwerken zu zeigen und so neue Leser zu gewinnen. Das steigert ihre Akzeptanz vor Ort. Sie werden als echte Korrespondenten ihrer Region oder anerkannte Experten für wichtige lokale Themengebiete wie Infrastruktur oder Schule stärker wahrgenommen.

Google honoriert es schon jetzt, wenn Artikel von einem Autor mit hohem Fachwissen in seinem Themengebiet verfasst werden. Nicht nur das zeigt: Wir brauchen Reporter und Autoren vor Ort mehr denn je. Denn die Maschine kann natürlich nicht in der Ratsversammlung sitzen oder mit der Feuerwehr durchs Hochwasser waten. Sie unterstützt uns aber bei vielen kleinen und großen Aufgaben.

Realistischer Blick
Ein realistischer Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen von KI hilft Lokaljournalisten. Die Schlüssel sind Weiterbildung, offene Diskussionen und klare Regeln für den Einsatz von KI in den Redaktionen. Dazu gehören Transparenz gegenüber dem Leser und ein Modell für die Verifizierung von Fakten. Denn Vertrauen ist immer noch die wichtigste Währung im lokalen Journalismus.
Wenn das gelingt, können wir unsere größte Stärke weiter ausbauen: die Nähe zu unseren Lesern. Weil wir nicht ins Monothematische abgleiten, sondern Meinungs- und Themenvielfalt mehr Raum geben können.

Text: Marie Todeskino

Zum Nachlesen

Lesen Sie hier die Debattenbeiträge von Alexander Marinos (WAZ) und
Uwe Renners (Rheinpfalz).

Der Text von Marie Todeskino erschien zuerst in der drehscheibe 2/24.

Marie Todeskino

ist Mitglied der Chefredaktion Ippen Digital und kümmert sich um die Lokalstrategie. (Foto: Johanna Lohr)
E-Mail: marie.todeskino@redaktion.ippen.media

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