Fiene checkt

Deutsche informieren sich anders

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Morgens informieren sich die meisten Menschen über ihr Smartphone. (Foto: AdobeStock/fifeflyingfife)
Morgens informieren sich die meisten Menschen über ihr Smartphone. (Foto: AdobeStock/fifeflyingfife)

Mehr Menschen beschreiben sich als nachrichtenmüde, das Interesse an Nachrichten hat in einem Jahr um zehn Prozent abgenommen: Der 164 Seiten starke neue Digital News Report offenbart im internationalen Vergleich so manche Eigenheiten des deutschen Nachrichtenkonsums. Fiene checkt sie.

Seit zehn Jahren wird der Reuters Digital News Report veröffentlicht, mittlerweile ist er zu einem der wichtigsten internationalen Navigatoren rund um den Nachrichtenkonsum in einer digitalen Medien-Realität geworden. Was den Report für den Befragungsteil in Deutschland so wertvoll macht: Es ist eine der wenigen Erhebungen zur Nutzung von journalisitischen Inhalten, die repräsentativ für den deutschsprachigen Teil der Bevölkerung in Deutschland Daten erhebt. Schauen wir auf ein paar Ergebnisse, die im internationalen Vergleich bemerkenswert sind.

1. Der Krieg in der Ukraine hat auf den deutschen Nachrichtenkonsum einen besonderen Einfluss

Seit dem Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine sind in fünf Ländern Befragungen gelaufen. Besonders tun sich die Ergebnisse in Polen und Deutschland hervor: Im Vergleich zu anderen Ländern ist der Anteil der Menschen, die Nachrichten aktiv meiden, besonders hoch, obwohl beide Länder direkt vom Konflikt betroffen sind, wie es die Studien-Autoren beschreiben. In keinen anderen Ländern ist der Anstieg der Nachrichten-Abstinenzler höher. 29 Peozent geben an, aktiv von Zeit zu Zeit Nachrichten zu meiden. Vor einem Jahr lag der Wert bei 25 Prozent. Gefragt sind eher zeitlich abgeschlossene Formate wie im Radio oder TV.

2. TV-Nachrichten gewinnen wegen des Kriegs in der Ukraine stärker als andere Medien

Auch wenn Online-Nachrichtenmedien ein starkes Interesse rund um das Thema Ukraine messen, haben in Polen und Deutschland vor allem die TV-Nachrichten profitiert. Die Fernsehnachrichten scheinen für die meisten Zuschauer das bevorzugte Medium in diesem Konflikt zu sein. Online-Nachrichten-Videos profitieren in Deutschland von diesem Trend kaum: Während international 50 Prozent Nachrichtenvideos für die Schnelligkeit schätzen, ist der Anteil der Kritik in Deutschland besonders hoch: 43 Prozent sind besonders von der Pre-Roll-Werbung genervt, also von den Spots vor Videos. Über alle befragten Länder hinweg liegt der Wert sonst nur bei 35 Prozent.

3. In Deutschland wächst die Anzahl der Menschen, die für Online-Nachrichten zahlen, schneller als in anderen Ländern

Deutschland reiht sich mit Schweden und Österreich in eine Kette von wohlhabenden Ländern ein, die einer weltweiten Entwicklung trotzen: International schwächt sich das Wachstum des Bevölkerungsanteils ab, der für Online-Nachrichten bezahlt. Ganz anders hier bei uns: Hier stehen die Zeichen ungebremst auf Wachstum.

4. Nachrichten-Persönlichkeiten bleiben in TV-Hand

In diesem Jahr hat der Digital News Report sich angeangesehenschaut, welche Rolle Nachrichten-Persönlichkeiten spielen. In Deutschland sind die Ergebnisse sehr konservativ: Marietta Slomka ist die bekanntes Nachrichten-Persönlichkeit in Deutschland. Vor allem Nachrichten-Moderatoren prägen die Topplätze. In Großbritannien und Finnland spielen Kolumnisten in der Bevölkerung eine deutlich größere Rolle.

5. News-Creatoren spielen in Deutschland (noch) kaum eine Rolle

Der Anteil der Bevölkerung, die direkt Journalisten für ihre eigenen Online-Angebote bezahlen, ist in Deutschland besonders gering. Ein Prozent bezahlt für einen Zugang zu einem Newsletter oder einer Webseite, drei Prozent zahlen für die Inhalte, die sie via Youtube oder Podcasts konsumieren. Zum Vergleich: In den USA liegen die Lese-Angebote bei sieben Prozent. Die audiovisuellen Angebote bei vier Prozent.

6. Medienwandel macht auch vor den geliebten News-Tradtionen nicht halt

In den meisten Ländern ist das Smartphone das Gerät der ersten Wahl, wenn es morgens um den Konsum der ersten Nachrichten geht. In Norwegen, Spanien, Finnland und Großbritannien musste das Fernsehen seine Führungsrolle jetzt abgeben. Radio (auch in Deutschland weiter stark) führt aber etwa in Irland die Medien-Charts am Morgen an. Und die Zeitung? Vor allem in den Niederlanden ist sie am Morgen besonders populär.

Die Deutschen fallen jedes Jahr mit einem sehr traditionellen Nachrichtenkonsum auf, aber mit etwas Distanz betrachtet verraten es die Zahlen deutlich: Das immunisiert nicht vor dem Medienwandel. Seit 2013 ist in Deutschland der wöchentliche Print-Konsum von 63 Prozent auf 26 Prozent zurückgegangen. Zum Vergleich: Die TV-News werden wöchentlich von 65 Prozent genutzt. 2013 waren es noch 82 Prozent.

Fazit

Die Themen Corona, Klima und der Ukraine-Krieg spielen auch weiterhin in der überregionalen und in der lokalen Berichterstattung eine große Rolle. Die Herausforderung für Redaktionen: Den Ton für die Leserinnen und Leser so zu treffen, dass einerseits das Interesse bedient wird, aber andererseits die News-Müden nicht noch weiter abgeschreckt werden. Eine Idee für digitale Nachrichtenangebote: Zu bestimmten Themen ein zeitlich begrenztes und gut dosiertes Überblicksformat anzubieten, das von gestressten Leserinnen und Lesern geschätzt wird. Übrigens: Der TV-News-Boom bedeutet nicht, auf den eigenen digitalen Angeboten digitale Klone von Fernsehnachrichtenformaten anzubieten. Der Erfolg von verschiedenen Medien auf Instagram zeigt, dass es immer eine visuelle Neuentwicklung braucht, statt ein anderes Medium nachzuahmen, um Erfolg auf der neuen Plattform zu haben.

 

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Hier geht's zum Digital News Report 2022

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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