Fiene checkt

Artikel zum Hören

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Warum sprechen Lokalzeitungen ihre Artikel ein? Daniel Fiene gibt Antworten. (Foto: AdobeStock/bohbeh)
Warum sprechen Lokalzeitungen ihre Artikel ein? Daniel Fiene gibt Antworten. (Foto: AdobeStock/bohbeh)

Zeitung zum Hören gibt es schon lange. Schon vor Jahren haben einige Tageszeitungen Telefonnummern eingeführt, unter der sich schlecht sehende Abonnenten aktuelle Artikel von einer automatisierten Stimme vorlesen lassen konnten. Für einige News-Apps ist das automatische Vorlesen von Texten auch keine Neuheit. Ein entsprechender Button ist schon lange eingebaut. Hörte man sich in der Vergangenheit unter den Verlagen um, wurden diese Angebot aber nur selten genutzt.

Seit einigen Monaten aber gibt es  eine neue Bewegung. Regionale Verlage bieten verstärkt ihre Artikel zum Hören an – vorgelesen von Sprechern oder Redakteuren. Oft nutzen sie diese Angebote, um ihre Digital-Abos attraktiver zu machen. Wer die E-Paper-App der Rheinischen Post öffnet, bekommt prominent die Audio-Artikel beworben. Fünf ausgewählte Texte werden vom Podcast-Team vertont. Wer ein Digital-Abo hat, kann sie sich sogar in seine Podcast-App laden. Auch die Neue Osnabrücker Zeitung vertont ihre wichtigsten Artikel mit echten Sprechern, die Leserschaft kann ihn sich sogar über den Smartspeaker Alexa vorlesen lassen. Das Angebot gibt es nicht nur die Titel im Osnabrücker Land, sondern auch für die Titel des SHZ in Schleswig-Holstein und des Medienhaus Nord in Mecklenburg Vorpommern.

Aber ist dieser Trend nur ein Hype im Schatten der Podcasteuphorie? Wünscht sich die Leserschaft überhaupt vorgelesene Texte, die ursprünglich zum Lesen verfasst worden sind? Nicht ohne Grund klingt Radio inzwischen ganz anders als in den Anfangsjahren. Auch die Podcasts werden wegen ihrer Gespräche und Plauderei geschätzt. Tatsächlich gibt es seit drei Jahren neue Bedürfnisse der Nutzer rund um ihren digitalen Medienkonsum, die zu diesem Trend passen.

Was dahinter steckt:

  • Bisher hat die deutschsprachige Bevölkerung ihren Medienkonsum auf Text, Audio und Video gleichmäßig auf je eine halbe Stunde täglich verteilt, wie jedes Jahr die ARD-ZDF-Onlinestudie zeigt. In der vorigen Erhebung hat sich die Audio- und Video-Nutzung abgesetzt, und in der aktuellen Studie zeigen die repräsentativen Ergebnisse diesen Trend verstärkt.
    Zusätzlich ist erstmals das Interesse an Text sogar deutlich zurückgegangen: Video liegt bei 55 Minuten, Audio bei 51 Minuten und Text nur noch bei 17 Minuten. Während unter 30-Jährige sogar 112 Minuten Audio-Inhalte am Tag konsumieren, nutzen sie Texte nur 24 Minuten. Zur ARD-ZDF-Onlinestudie.
  • In den vergangenen Jahren sind einige neue Online-Medien entstanden, die sich vollständig über ihre zahlenden Leser finanzieren. Wenn diese Medien untersuchen, warum potentielle Leser kein Abo abschließen, obwohl sie das Angebot eigentlich schätzen, wird meist dieser Grund genannt: Trotz Interesse an Themen und Inhalten sind die Nutzer von den Texten abgeschreckt. Da sie zur Kommunikation und zu beruflichen Zwecken schon viel Zeit mit Lesen auf dem Smartphone, Tablet und Computer verbringen, haben sie in ihrer Freizeit keine Lust, längere Texte zu lesen.
  • Die App der Print-Ausgabe der Zeitung Die Zeit misst ein ähnliches Interesse: Obwohl nur ein Dutzend der über 100 wöchentlichen Texte von echten Sprechern vertont wird, werden diese Audio-Artikel von rund 30 Prozent der App-Nutzer jede Woche abgerufen. Zu einem Artikel auf Wasmitmedien.de über Die Zeit.
  • Der Spiegel ist in diesem Jahr wegen des Audio-Interesses einen Schritt weitergegangen und hat sogar ein eigenes Audio-Abo eingeführt – neben Premium-Podcasts gibt es auch Audio-Artikel. Zu einem Artikel darüber.
  • Selbst Facebook hat auf das neue Audio-Bedürfnis in diesem Jahr reagiert. Bisher hieß es immer von der Plattform, niemand wolle Audio hören, wenn man auf Facebook unterwegs sei. Doch jetzt die Kehrtwende, weil Facebook ebenfalls eine Veränderung im Verhalten der Nutzer weltweit feststellt: Gleich drei neue Audio-Funktionen wurden angekündigt. Während Facebook-Seiten seit ein paar Wochen auch komplette Podcast-Episoden direkt zum Anhören auf Facebook veröffentlichen können, arbeitet Facebook auch an Audio-Rooms, einen Chat à la Clubhouse. In Kürze wimmelt es in der Timeline auch von Sprachnachrichten — zumindest wenn die Idee von Facebook aufgeht. Hinter den Kulissen arbeiten die Entwickler an einer aufgebohrten Fassung von Kurz-Audios, wie wir sie von WhatsApp kennen. Zur Mitteilung von Facebook dazu.

Fazit

Ja, Artikel zum Hören sind nicht nur ein Hype, sondern eine Reaktion auf ein neues Bedürfnis der Nutzerschaft. Mittlerweile reservieren sich Konsumenten neben der Arbeit oder in der Freizeit weniger Zeit um Medieninhalte zu konsumieren, sondern ergänzen Tätigkeiten wie Hausputz, Sporttreiben, Spazieren gehen oder Pendeln. Dabei können sie weniger lesen – aber die Ohren sind offen. Und das trifft auf die Bereitschaft, relevante Inhalten zu konsumieren. Allerdings: Viele Medien bieten im Verhältnis zu langen Texten noch deutlich weniger Audio an. Hier gibt es noch viel Potential für Produktideen. Der Vorteil: Mit diesen Audio-Angeboten werden Paid-Angebote attraktiver. Zwar müssen bestimmte zeitliche Ressourcen für diese Angebote im Redaktionsalltag eingeplant werden, dafür ist die technische Umsetzung simpel.

Mein Tipp

Setzen Sie unbedingt auf echte Stimmen. Zwar gibt es Start-ups, die mittlerweile sogar mit deutlich verbesserten Text-to-Speech-Angeboten vorstellig werden, aber ein wichtiges Detail können sie noch nicht abdecken: die Empathie der Stimme. Die fehlt trotz dem Buzzword „Künstlicher Intelligenz“ in der Produktwerbung. Sie müssen auf der anderen Seite aber auch nicht auf externe Studios zurückgreifen. Viele Printkollegen haben auch schon beim Radio gearbeitet. Hören Sie sich in Ihrem Team um. Auch wenn es damit keine Erfahrung gibt: Mit ein wenig Sprechtraining lassen sich schnell Erfolge erzielen. Der Bedarf an Audio wird in den nächsten Jahren nicht zurückgehen. Audio ist sinnvoll und wird mittelfristig zu einem ordentlichen digitalen Nachrichtenangebot dazugehören.

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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