Fiene checkt

Instagram als Video-App

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Wird Instagram zur Videoplattform? (Foto: AdobeStock/selinofoto)
Wird Instagram zur Videoplattform? (Foto: AdobeStock/selinofoto)

Ortsbesuch San Francisco, wenige Monate vor dem ersten Corona-Lockdown. Mit einer Gruppe deutscher Medienschaffenden laufe ich durch ein modernes Geschäftsviertel. Wir holen uns noch schnell einen Kaffee auf die Hand, bevor es in ein gläsernes, aber trotzdem anonymes Hochhaus geht. Ein paar Stockwerke höher öffnet sich eine milchige Glastür: dahinter eine bunte Welt, wie wir sie von Instagram kennen. Wir sind in einer der Niederlassungen der erfolgreichen Facebook-Tochter und diskutieren mit einigen Mitarbeitern über News auf Instagram. Ein Satz blieb mir besonders im Ohr: „Denkt bei Instagram nicht an eine Foto-App. Denkt bei Instagram an Stories, Live und IGTV.”

Diese Erinnerung ist mir wieder sehr präsent, seit ich die Branchenberichterstattung der vergangenen Wochen über eine Ankündigung von Instagram-Chef Adam Mosseri gelesen habe: Die Schlagzeilen reichten von „Instagram will keine Foto-App mehr sein” über „Instagram wird Video-App” bis hin zu „Video statt Foto — was heißt das für Medien?”. Offenbar stehen bei Instagram bemerkenswerte Veränderungen an.

Instagram gehört für Medien inzwischen zum Social-Media-Pflichtprogramm. Mühsam haben die meisten journalistischen Marken ihre Strategie erarbeitet. Die Ankündigung von Instagram lässt ahnen: Diese Strategien müssen wieder angepasst werden. Zählt künftig nur Video?

Gerade in Lokalredaktionen polarisiert das Thema Online-Video. Von der Euphorie nach einem Mobile-Reporting-Workshop bleibt meist im Alltag wenig übrig. Der Aufwand ist zu hoch. Viele Video-Offensiven des Stammhauses mussten trotz angespannter Personallage in die Workflows eingebaut werden und endeten mit Frust auf allen Seiten: Die Redaktionen ärgerten sich über noch mehr Arbeit. Die Zuschauer bekamen trotz Mühe meist mittelmäßige Fernsehbeiträge, statt guter Online-Videos. Die Verlagsseite konnte selbst Videos mit starken Abrufzahlen nicht wie erhofft monetarisieren. Viele Offensiven schliefen wieder ein. Jetzt also schon wieder Video?

Etwa neun Millionen Menschen nutzen Instagram in Deutschland. (Symbolfoto: AdobeStock/ itchaznong)
Etwa neun Millionen Menschen nutzen Instagram in Deutschland. (Symbolfoto: AdobeStock/ itchaznong)

In der Tat ist die Ankündigung von Adam Mosseri bemerkenswert. In zweieinhalb Minuten erklärt er, welche Änderungen Instagram-User in den kommenden Monaten erwarten können. Normalerweise sind wir von Facebook und Instagram eine blumige Konzernsprache gewohnt. In diesem Video spricht Mosseri klar, benennt direkt die Konkurrenten und gibt einen konkreten Ausblick.

Was sich bei Instagram wirklich ändert:

  • Instagrams Entwickler konzentrieren sich in den kommenden Monaten auf vier Bereiche. Mosseri benennt sie in dieser Reihenfolge: Creators, Video, Shopping und Messaging.
  • Alle Änderungen sollen auf ein Ziel einzahlen: mehr Unterhaltung. Denn Entertainment ist laut Forschung die Hauptmotivation, warum User Instagram nutzen.
  • „TikTok ist groß, Youtube ist größer und es gibt viele neue Player”, fasst der Instagram-Chef die Konkurrenz zusammen und nennt eine Gemeinsamkeit: Ihr Wachstum findet durch Video statt.
  • Die beiden letzten Punkte sind die Leitplanken für die Änderungen in den kommenden Monaten. Instagram hat viele Tests angekündigt und verspricht, darüber zu informieren.
  • Konkret nannte Mosseri schon jetzt zwei Experimente: Einige User sehen in ihrem Feed Empfehlungen. Das sind Postings von Accounts, denen die User bisher nicht folgten. Außerdem soll es weitere Experimente mit Fullscreen-Videos geben, wie wir diese in den Stories oder Reels kennen.

Was das für Lokalredaktionen bedeutet:

  • Auch wenn die konkreten Änderungen noch nicht feststehen, können Lokalredaktionen die Zeit nutzen, um die eigene Ausgangslage zu verbessern. Viele Accounts klassischer Medienmarken ignorieren Instagram-Basics, die für erfolgreiche Accounts dazugehören. Dazu gehören die folgenden Punkte:
  • Nutzen Sie alle Darstellungsformen von Instagram! Konzentrieren Sie sich nicht nur auf den Feed oder die Stories. Auch Livestreams, IGTV und Reels sollten bedient werden. Lieber selten, als gar nicht — wie erfolgreiche Accounts zeigen. Die Postings im Feed sind wichtig, damit Sie neue Nutzer erreichen. Die Postings in der Story sind wichtig, damit Sie bestehende Follower an sich binden.
  • Gehen Sie mit Ihren Inhalten bei Instagram all-in. ​​Instagram ist keine Plattform, auf der Medien lediglich ihre journalistische Angebote auf anderen Kanälen (wie auf der eigenen Homepage) bewerben können. Wer darauf den Schwerpunkt legt, hat selten Erfolg. Stattdessen sind Inhalte gefragt, die für sich stehen. Was Sie sich dabei aber bewusst machen müssen: „Wer auf Instagram publiziert, verliert die Hoheit über die Inhalte. Sperrt Instagram einen Kanal oder schafft Funktionen ab, ist alles weg”, sagt Clare Devlin, die mit dem WDR-Kanal „Mädelsabende“ Pionierarbeit für journalistische Accounts auf Instagram geleistet und inzwischen nebenbei mit „Folge_Richtig“ auch Unternehmen berät. (Hörtipp: Clare Devlin war in unserem „Was mit Medien”-Podcast zu Gast und hat viele Tipps für Redaktionen gegeben. Zum Podcast.)
  • Geben Sie dem Community-Management den richtigen Stellenwert. Bisher bekommt das Erstellen von Inhalten die meiste Aufmerksamkeit. Instagram hat es vorgemacht, bei Linkedin gehört es inzwischen auch dazu, und selbst bei Facebook heißt es neuerdings verstärkt: „Redaktionen müssen den Switch zur aktiven Community-Arbeit machen. Die jüngsten Änderungen bei den Facebook Pages zeigen, dass Interaktionen, Kommentare und Community-Building eine wichtigere Rolle spielen werden. Hier haben noch viele Redaktionen Nachholbedarf”, sagt Digitalstrategin und ehemalige Online-Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, Franziska Bluhm (Hörtipp: Franziska Bluhm zu Gast in der „Was mit Medien”-Podcast-Episode „Wie verändert sich 2021 die Social-Media-Welt?“ Zum Podcast.)

Eine Frage bleibt noch. Müssen Lokalredaktionen sich von Fotos verabschieden und völlig auf Videos setzen?

Fazit: Nein. Instagram wird keine Video-App. Aber zur Wahrheit gehört auch: Die Facebook-Tochter ist (schon längst) keine Foto-App mehr. Das Ziel lautet: Instagram will sich als die mit Abstand erfolgreichste Unterhaltungs-App etablieren. Und genau darauf müssen künftig die Instagram-Strategien von Medienmarken einzahlen. Zwar spielen Videos dabei eine wichtige Rolle. Wichtiger ist jedoch der Fokus auf die Erwartungen der Menschen, die Medien auf Instagram erreichen möchten.

Mein Tipp: Behalten Sie die Tests von Instagram im Auge. Reagieren Sie nur auf Änderungen, die am Ende auch bleiben. Nutzen Sie die Zwischenzeit, um ein Versäumnis vieler Medienmarken auf Instagram aufzuarbeiten. Meistens wird die Kanal-Strategie aus der Binnensicht des Medienhauses entwickelt. Die gute Nachricht: Die wichtigen Mechanismen für einen erfolgreichen Account sind nicht geheim. Sie müssen nur genutzt werden.

Links zum Thema:

  • Die Ankündigung von Instagram-Chef Adam Mosseri.
  • Die Juli-Ausgabe des drehscheibe-Podcasts drehmoment beschäftigt sich mit Lokaljournalismus auf Instagram. Hören Sie die Best-Cases der Siegener Zeitung, des Hamburger Abendblatts und des Schwarzwälder Boten. (Siehe Player unten)
  • 7 konkrete Tipps für Medien, damit sie mehr Erfolg bei Instagram haben. Zum Beitrag.
  • Was mit Medien-Podcast: Wie klappt es endlich für Medien auf Instagram, Clare von Mädelsabende?
  • Was mit Medien-Podcast: Wie verändert sich 2021 die Social-Media-Welt, Franziska Blum?

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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