Fiene checkt

Das bessere Netzwerk werden

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Junge Leute vernetzen sich über Social Media (Foto: AdobeStock/Alessandro Biascioli).
Junge Leute vernetzen sich über Social Media (Foto: AdobeStock/Alessandro Biascioli).

BeReal will als Anti-Instagram die Social-Media-Welt erobern. Influencerinnen zwingen Instagram, neue Funktionen zurückzunehmen. Während die Meta-App die eigene Zukunft durchs Kopieren erfolgreicher Funktionen anderer Apps sichern will, vermissen viele Nutzer inzwischen ihr gutes, altes Instagram. Für Lokalredaktionen ist das eine interessante Situation, gerade wenn sie auf der Suche nach einer innovativen Social-Media-Strategie sind.

Wie außerhalb von Instagram Innovation entsteht 

Sind Sie schon bei BeReal? Keine Sorge, dies wird kein „Das nächste große Ding“-Text. Im August 2022 war BeReal aber in Deutschland die meistgeladene App. Weltweit gibt es täglich zehn Millionen aktive Nutzer. Als der Franzose Alexis Barreyat vor zwei Jahren die App veröffentlichte, ist er mit der These ins Rennen gegangen, die Welt sei bereit für ein Anti-Instagram.

Einmal am Tag erhalten die Nutzer eine Pushmeldung und haben zwei Minuten Zeit, mit der Vorder- und Rückkamera ein Foto zu veröffentlichen – ohne Filter, Sticker oder Emoji. Wer das Zeitfenster verschläft, kann sich die pünktlichen Fotos aus dem eigenen Freundeskreis nicht ansehen und wird als Spät-Poster bezeichnet. Bei BeReal ist kein Platz für Foto-Inszenierer, für Werbung und Influencer. So sieht die neue Social-Media-Welt aus, wie sie sich Alexis Barreyat, der vorher beim Action-Kamera-Hersteller GoPro gearbeitet hat, vorstellt. Innovation entsteht für ihn durch das Antizipieren einer Gegenbewegung. Für alle, die sich vom Postingrausch und der Professionalisierung auf Instagram unter Druck gesetzt fühlen.

Was Instagram unter Innovation versteht 

Diesen Innovationsansatz kann Instagram natürlich nicht verfolgen, sondern es setzt auf das bewährte Muster, gute Ideen der aufstrebenden Konkurrenz zu kopieren und zu hoffen, dass durch eine schnelle Skalierung innerhalb der enormen Nutzerschaft die neue Funktion ankommt und die App-Nutzung intensiver wird. Es hat nicht lange gedauert, bis BeReal zum Insta-Vorbild wurde: Im Juli hat Instagram eine Dual-Kamera-Funktion eingeführt, wie wir sie von BeReal kennen. Seit August läuft ein Test der „IG Candid Challenges“ – innerhalb von zwei Minuten können Instagram-Nutzer für den eigenen Freundeskreis ein Doppel-Foto posten. Selbst an den zwei Minuten hat Instagram nicht geschraubt, und das, obwohl Instagram aus der eigenen Nutzerschaft gerade ordentlich einen auf den Deckel bekommen hat, als es versucht hat, mehr wie TikTok zu sein.

Wie die Nutzer mit Innovation umgehen 

Es klingt paradox. Auch wenn Social-Media-Nutzer durch ihre Nutzungsveränderungen Netzwerke zu Updates zwingen, mögen sie genau diese Veränderungen erst einmal nicht. Das haben die Reality-TV-Stars Kim Kardashian und Kylie Jenner antizipiert, als sie sich in die vorderste Reihe der protestierenden Instagram-Nutzer stellten und das Protestbild „Make Instagram Instagram Again – Stop Trying To Be TikTok“ ebenfalls mit ihren Millionen Followern teilten. Instagram hat auf die dann folgenden starken Reaktionen die angekündigten Änderungen wieder einkassiert.

Kylie Jenner und Kim Kardashian beteiligen sich an dem Protest nicht aus purer Nostalgie oder weil sie selbst die Foto-Posts von ihren Freunden sehen wollen, dazu brauchen sie nur die eigene Reality-Show im TV einschalten. Für sie geht es um pures Geld. Sie haben auf Instagram große Reichweiten aufgebaut. Wenn sie dort etwas über ihre Produkte posten, dann klingelt die Kasse.

Mit ihrem Protest haben sie aber geschickt eine Sehnsucht in der Nutzerschaft adressiert, die für Instagram zum Dilemma wird: Viele Nutzer sehnen sich nach ihrem guten alten Instagram-Feed, der von Heimat und Lieblingsorten, Freunden und Familie bestimmt wird. Doch Influencer und Marken posten nicht nur professioneller, sondern auch in einer Taktzahl, bei der private Accounts nicht mehr mitkommen. Privates landet heute ohnehin eher im Story-Bereich. Trotzdem haben viele Nutzer zumindest das Gefühl, wieder den Feed haben zu wollen, als sie Instagram lieben und schätzen gelernt haben.

(Foto: AdobeStock/oatawa)
(Foto: AdobeStock/oatawa)

Mein Fazit

BeReal geht genau in diese Richtung, wird aber trotzdem nicht das nächste Instagram. Es bleibt aber auch keine Eintagsfliege. Die Sehnsucht nach Echtheit im Sozialen ist da, aber die App muss sich noch die genaue Nische und ein Geschäftsmodell suchen. Instagram wird weiter mit Kopien scheitern, stolpern und Siege feiern – wird es aber zunehmend mit den Nutzern schwer haben, die einem Instagram-Bild vergangener Tage nachhängen.

Mein Tipp

Das ist die Chance für Lokal­redaktionen! Seien Sie das gute, alte Instagram! Heimat, Nähe, Vertrautes und Bewährtes – das sind Inhalte, die lokale Medien auch über den Feed liefern können. Lassen Sie Menschen in ihrer Stadt ihre Lieblingsecken zeigen, sammeln Sie Lieblingsorte und füllen Sie die Lücke, die viele Insta-Nutzer in ihrem Feed fühlen. Mit relativ wenig Aufwand können Sie so im Feed Ihrer Zielgruppe als viel innovativer auffallen als BeReal, TikTok oder Instagram.

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Um die Änderung auf Instagram & Co. ging es auch in der Internetwerkstatt der drehscheibe, Ausgabe 10/22.

Dieser Text ist eine Vorabveröffentlichung aus der drehscheibe zum Thema Innovationen, die am 26. September 2022 erscheint.

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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