Fiene checkt

Storys zum Hören

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Podcasts liegen im Trend im Lokalen (Foto: AdobeStock/LIGHTFIELD STUDIOS).
Podcasts liegen im Trend im Lokalen (Foto: AdobeStock/LIGHTFIELD STUDIOS).

Was verbinden Sie mit dem Begriff Labercast? In den vergangenen Monaten hat sich dieser Begriff verselbstständigt. Denn obwohl sich die Podcast-Landschaft für ihre Themen- und Stimmenvielfalt rühmt, fällt sie durch den Filter Darstellungsform vor allem durch eins auf: Durch eine Monotonie, wie es sie in kaum einem anderen Medium gibt. Das betrifft Chartstürmer wie neue Formate, Hobbyprojekte wie Spotify Originals, viel empfohlene Formate wie solche, die schon ewig dabei sind. Zwei Menschen reden. Labercasts eben. Für einige ist dies keine Formatbeschreibung mehr, sondern ein Etikett für Langeweile. Trotzdem funktionieren sie.

Podcast-Anbieter erhoffen sich einen geringen Produktionsaufwand und auch die Hörerschaft liebt Podcasts wegen guter Gespräche zwischen Personen, die sie mit der Zeit immer besser kennenlernen. Der Faktor Companionship. Die Hörerschaft hat das Gefühl, Zeit mit Freunden zu verbringen, die sich leidenschaftlich, mit viel Tiefe mit einem bestimmten Thema beschäftigen. Aber wenn wir ehrlich sind: Mit dem Prinzip „Zwei Menschen reden“ kann ein Podcast heute keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Storytelling-Podcasts

Am anderen Ende der nach Produktionsaufwand sortierten Format-Skala gibt es eine andere Podcast-Form, bei der derzeit alle leuchtende Augen bekommen: Auf ein halbes Dutzend Folgen verteilt, wird aufwendig produziert eine Story erzählt. Mit vielen O-Tönen, einem umfangreichen Stimm-Ensemble und vielleicht sogar Hörspiel-Elementen. Im besten Fall wird eine komplexe gesellschaftliche Herausforderung anhand des Lebens einer Protagonistin oder eines Protagonisten erzählt. Im letzten Jahr hat der Podcast „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ neue Maßstäbe unter den deutschen Storytelling-Podcasts gesetzt.

Es gibt einen Hype um diese Mini-Serien. Auch aus Lokalredaktionen höre ich inzwischen häufiger Ideen, Geschichten auf einige Podcast-Folgen verteilt zu erzählen. Wenn Sie auch mit dieser Idee spielen, empfehle ich einen Blick auf die Vor- und Nachteile. Sonst droht am Ende Frust, wenn die Produktion so stark ausufert, das selbst überschaubare Abrufzahlen die Stimmung nicht heben.

(Foto: AdobeStock/oatawa)
(Foto: AdobeStock/oatawa)

Gründe, die für ein Storytelling-Format sprechen

● Sie möchten sich erst einmal mit dem Format Podcast anfreunden, ohne eine langfristige, regelmäßige Verpflichtung gegenüber Ihrer Nutzerschaft einzugehen. Die Ressourcen für ein begrenztes Projekt lassen sich einfacher einplanen, als für eine wöchentliche oder tägliche Audio-Produktion.

● Sie möchten mit Ihrer Arbeit neue Zielgruppen ansprechen, die bisher weder Zeitung noch Webseite nutzen. Wenn Sie mit einem gut gemachten Podcast überraschen, gibt das natürlich Extra-Punkte für das Innovations-Karma Ihrer Marke.

● Vielleicht möchten Sie engagierten Kolleginnen und Kollegen Raum geben, die Ihnen solch ein Projekt vorschlagen. Bestimmt gibt es in der Region eine Geschichte, die viele kennen, und die aus Audio-Sicht noch nicht erzählt wurde.

● Möglicherweise haben Sie auch eine Auszeichnung im Blick, auf die Ihre Redaktion eine gute Chance hat. Ein Preis macht sich bestimmt gut bei der Nutzerschaft und vor allem in der nächsten Verlagskonferenz.

● Oder Sie möchten probieren, ob Sie nach einer kostenlosen ersten Ausgabe, die Hörerschaft auch zum Abschluss eines digital Abos bewegen können, um den Ausgang der Geschichte zu hören.

Gründe, die gegen ein Storytelling-Format sprechen

● Der Aufwand. Ein gut gemachter Podcast ist schon aufwendig. Viele Stimmen, viele O-Töne, gut gemachtes Storytelling mit komplexen Handlungsbögen erfordern aber noch mehr Können und noch mehr Produktionszeit.

● Der Erfolg von Storytelling-Formaten steht und fällt mit der Kampagne zum Start. Die muss gut vorbereitet, umfangreich und intensiv sein. Wenn Sie Zielgruppen erreichen möchten, die bisher Ihre Angebote nicht nutzen, wird dies noch schwieriger. Ein Anmelden des Podcasts bei Spotify & Co. reicht nicht aus.

● Mit jeder neuen Staffel oder jedem neuen Storytelling-Format müssen Sie eine neue Hörerschaft aufbauen. Und das ist, wie gesagt, sehr aufwendig. Haben Sie die Nutzerschaft erst einmal überzeugt, ist nach wenigen Wochen schon wieder Schluß mit dem regelmäßigen Kontakt. Da bleibt Ihnen wenig Zeit, diese Bindung strategisch zu nutzen.

● Sie verpassen einen wirklich wichtigen Vorteil, den regelmäßige Podcast-Formate haben: Den Aufbau einer treuen Audience. Regelmäßige Podcasts haben die Chance, zum festen Bestandteil des Medienkonsums der Nutzerschaft zu werden. Ausgabe für Ausgabe kommen neue Hörerinnen und Hörer dazu. Die regelmäßigen bleiben dabei und entwickeln eine festere Bindung. Ihr Vorteil: Wenn Sie innerhalb des Formats von anderen Angeboten oder Projekten Ihrer Redaktion berichten, werden Sie auf viel offenere Ohren stoßen. Auch die Vermarktung läuft besser, da bereits Abrufzahlen vorliegen und die Conversionrate bei Angeboten mit großer Stammhörerschaft in der Regel besser ist.

● Es gibt eine weitere Podcast-Säule, von der Sie nur mit regelmässigen Formaten profitieren. Das Community-Building. Gute Podcasts leben von Interaktion mit der Hörerschaft. Sie geben Feedback auf die Inhalte und in der nächsten Episode reagieren die Hosts drauf — so entsteht ein Dialog, der noch stärker bindet und den Inhalten mehr Tiefe gibt. Wer vor dem Start schon die komplette Staffel produziert, lässt die Community außen vor. Und: Je stärker die Hörerschaft sich als Teil einer Community sieht, desto größer ist die Chance, dass das Format im Bekanntenkreis weiterempfohlen wird.

(Foto: AdobeStock/Aquir)
(Foto: AdobeStock/Aquir)

Storytelling-Formate verzichten somit auf die im digitalen Raum wichtigen Vorteile Ritualisierung und Community. Warum gibt es trotzdem diesen Hype? Für einige Anbieter sind sie tatsächlich essenziell.

Für wen Storytelling-Formate wichtig sind: Schauen wir einmal kurz auf Netflix. Der Streaming-Service macht mittlerweile ausschließlich mit den eigenen Originals Schlagzeilen. Warum? Das hilft dem US-Unternehmen bei zwei wichtigen Zielen: Neue Abos zu verkaufen und bestehende Abos nicht zu verlieren. Denn: Nur so lange die Zuschauerschaft das Gefühl hat, sie könne immer neue Highlights sehen, die sie nicht verpassen möchte, bleibt das Abo. Oder so lange die Lieblingsserie noch nicht zu Ende gesehen ist oder in Kürze die neue Staffel erscheint.

Ähnlich ist das mit Storytelling-Formaten. Mit exklusiven und endlos laufenden Formaten will Spotify zahlende Nutzer halten und spielt auch hier gekonnt mit Fomo-Gefühlen (Fear of Missing out), wenn alle paar Wochen ein anderes exklusives Format in den Mittelpunkt gestellt wird, über das der Bekanntenkreis spricht. Das wertet die eigene Plattform auf und lockt auch neue Personen an. Storytelling oder Staffel-Formate sind für eine Plattform wie Spotify somit sehr wichtig.

Das gilt auch für die öffentlich rechtlichen Sender. Aus der ARD Audiothek ist inzwischen eine Plattform gewachsen, die der Reuters Digital News Report als die dritt-meistgenutzte Podcast-Plattform in Deutschland sieht. Damit die auch immer wieder von der Hörerschaft besucht wird, helfen gut über das Jahr verteilte Storytelling- und Staffel-Formate weiter. Jeder Start ist ein Kommunikationsanlass, der von den Radiostationen im ARD-Netzwerk befeuert wird.

Fazit

Finger weg von den Storytelling-Formaten, wenn Sie sich einen Nutzen von der Produktion versprechen, der Ihre Digitalstrategie nachhaltig unterstützt. Wer keine eigene Audio-Plattform besitzt, hat nichts von den Vorteilen einer Storytelling- oder Staffel-Produktion. Aus rein publizistischer Sicht sind solche Produktionen natürlich phantastisch — und wenn das als Ziel für Sie passt, freue ich mich schon in die Produktion Ihrer Lokalredaktion reinzuhören.

Mein Tipp: Medienangebote, die auch Podcasts anbieten, profitieren von regelmäßigen Formaten. Ich kann Sie nur ermutigen, nicht einfach einen Labercast oder True-Crime-Podcast anzubieten. Überlegen Sie sich doch, wie Sie Ihren Formaten einen speziellen Rahmen geben und mit dem Format irgendwie auffallen können. Eine Challenge, die in jeder Episode geschafft werden muss? Eine Eigenschaft des Formats, mit dem sich der Podcast aus der Masse abhebt? Ich erinnere gerne an den Interview-Podcast „Alles gesagt“ von Zeit Online. Der ging erst an den Start ging, als es schon zahlreiche Promi-Interview-Formate gab. Der Clou: Die Länge ins Unendliche ziehen - bis alles gesagt ist. Dieser kleine Unterschied fasziniert und hat das Format mit zum bekanntesten in seinem Genre gemacht.

Es gibt so viele Möglichkeiten. Die Ohren der Hörerschaft sind geöffnet. Es ist noch Platz für viele neue Podcast-Ideen.

Übrigens, auch in meiner kommenden Kolumne checke ich eine Podcast-Frage, die sich kürzlich in einem Podcast-Workshop der Bundeszentrale für politische Bildung ergeben hat. Sollten Lokalredaktionen ihre Podcasts ausschließlich auf der eigenen Seite anbieten, um Spotify & Co. nicht aufzuwerten? Das schauen wir uns in der nächsten Ausgabe an.

 

Mehr zum Thema:

Hinweis: In unregelmäßigen Abständen veranstaltet die drehscheibe Power-Workshops zum Thema Podcasts. Ankündigungen finden Sie hier.

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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