Interview

„Auf schleichende Entwicklungen achten"

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Der Autor und Journalist Andreas Speit schreibt seit 20 Jahren über Rechtsextremismus, unter anderem in der wöchentlichen taz–Kolumne „Der rechte Rand“. Auf der Jahreskonferenz des netzwerk recherche e.V. sprach er über „Nazis im Visier – Recherchen im rechtsradikalen Milieu“. Im anschließenden Gespräch mit der drehscheibe gab er Tipps für die Recherche im Lokalen.

Herr Speit, Sie haben gesagt, Redakteure sollten sich die Themen nicht nur von Ereignissen wie dem Auffliegen der NSU diktieren lassen, sondern auch über den „alltäglichen“ Rechtsextremismus berichten. Wo finde ich den als Lokalredakteur denn?

Gerade im Kleinen, Alltäglichen können wir erleben, dass sich der Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren versucht. Gezielt bemühen sich NPD-Kader und -Aktivistinnen darum, in Sportvereinen, Eltern- oder Bürgerinitiativen nachhaltig Fuß zu fassen. Umso notwendiger ist es, dort zu recherchieren. Dafür müssen wir uns aber ein wenig von unseren alten Klischeebildern trennen.

Das heißt?

Die Rechtsextremen tragen nicht bloß Glatze oder verkünden einschlägige Parolen. Sie sehen aus wie Sie und ich, haben längst ein Gespür dafür entwickelt, welche Themen Menschen auf der Seele brennen, und versuchen dann, sich vor Ort einzubringen: wenn gegen Hartz IV protestiert wird, wenn in der kleinen Gärtnerkolonie immer die Mülltonnen geklaut werden, wenn im Kindergarten die Heizung wackelt und das im Stadtrat nicht zum Thema gemacht wird. Auch für die taz–Kolumne „Der rechte Rand“ haben wir uns bewusst entschieden, die schleichenden, leisen Entwicklungen zu skizzieren, auch kleinteilig zu erzählen.

Haben Lokalredaktionen die Relevanz von alltäglichem Rechtsextremismus in Ihren Augen bisher verschlafen?

Vor pauschalen Bewertungen sollten wir uns hüten. Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen. Einige Lokalredaktionen bearbeiten das Thema Rechtsextremismus ganz sensibel, es gibt allerdings auch solche, die es völlig ignorieren. Aber: Nur wenn man das Thema zum Thema macht, kann es zur nötigen Auseinandersetzung kommen. Davon profitiert nicht nur die Gemeinde und die Region, sondern auch die Zeitung.

Themen selbst zu setzen erfordert permanente Recherche. Sie befinden sich mit Ihrer wöchentlichen Kolumne in einer Luxussituation. Wie kann denn der gestresste Lokalredakteur das Thema Rechtsextremismus angemessen umsetzen?

Ja, ich möchte das nicht klein reden: Ich kann aus einer sehr privilegierten Situation heraus zu dem Thema berichten. Lokalredakteure stehen unter einem enormen ökonomischen und zeitlichen Druck, verschiedenste Themen müssen ganz schnell bearbeitet werden. Man kann nur hoffen, dass die Redaktionen einem Kollegen mehr Zeit geben für solche Recherchen und ihn von anderen Sachen frei halten, wenn sie merken: „Mensch, da brodelt was bei uns im Ort“. Es wäre schön, wenn so eine Entwicklung stattfinden könnte, hier und da hat es das auch schon gegeben.

Rechtsextreme Szenen treffen sich sehr oft im Provinziellen, veranstalten Konzerte in Dorfkneipen, halten Versammlungen ab. Wie gehe ich auf dem Lande, in der Kleinstadt an die Recherche heran, wie komme ich in die Strukturen hinein?

Tatsächlich bedarf es einem sehr langfristigen Arbeiten, damit man frühzeitig mitbekommt, wo zum Beispiel Rechtsrock-Konzerte stattfinden. Oft ist es aber auch so, dass man bei der Recherche spontan feststellt: „Hoppla, da ist wieder ein Konzert in Planung“. Oder man erfährt es kurz vor Beginn, weil man einen Tipp bekommt. Wenn man sich vor Ort umhört, erzählen meistens auch Anwohner etwas: „Die Scheune gehört XY, den können Sie ja mal anrufen.“ Das Gespräch vor Ort ist immer sehr hilfreich.

Was würden Sie jüngeren und unerfahrenen Redakteuren raten? Welche Regeln sollten Sie bei der Recherche befolgen?

Das normale journalistische Rüstzeug ist ausreichend. Man muss es sich nur vergegenwärtigen. Und man sollte sich nicht der Illusion hingeben, man könne mal, husch husch, beim Neonazi vorbeifahren. Darauf muss man sich wie bei allen Terminen professionell vorbereiten und es ist natürlich hilfreich, wenn man weiß, was der sonst denkt und sagt. Damit man nicht alles glaubt, was einem erzählt wird. Man sollte genau überlegen, was man will, wenn man Neonazis aufsucht, wie man dorthin fährt, welches Fahrzeug gewählt wird. Unsere Erfahrungen zeigen, dass es hilfreich ist, solche Recherchen im Team zu machen und dass man die jeweiligen Rollen abspricht. Einfach um sich keiner unnötigen Gefahr auszusetzen.

Sicher hemmt manche Redakteure auch die Angst vor kritischen Situationen?

In der lokalen Berichterstattung ist es natürlich nachvollziehbar, dass einige Kollegen in Sorge sind, wenn sie über die rechte Szene berichten. Es ist leider auch keine unrealistische Überlegung, dass die Rechtsextremisten mal bei Einem vorbei schauen könnten, wenn man im gleichen Ort wohnt. Ich möchte trotzdem nicht stehenlassen, dass man sofort bedroht ist, wenn man vor Ort recherchiert. Das ist nicht oft der Fall. Man sollte jedoch darauf vorbereitet sein.

Worin sehen Sie aktuell noch Probleme in der lokalen Berichterstattung zu rechtsextremistischen Themen und welche positiven Veränderungen können Sie beobachten?

Wir erleben, dass mit den Entwicklungen um den NSU die Sensibilität in den Medien größer geworden ist und man auch vor Ort genauer schaut: „Was ist eigentlich bei uns los?“ Das finde ich ermutigend. Man sollte sich dann aber nicht so sehr verleiten lassen und allein auf die Militanz zu schauen, auf die Gewalttätigkeit der Szene. Sondern auch auf die schleichenden Entwicklungen achten: Was wird im Schützenverein diskutiert, was für Sprüche hört man dort, wie wird mit XY von der NPD umgegangen? Darüber zu berichten ist genauso wichtig.

Interview: Imke Emmerich

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Andreas Speit

... ist freier Journalist und schreibt seit 20 Jahren über das Thema Rechtsextremismus.

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