Interview

"Der Leser als Teil eines exklusiven Clubs"

von

Sebastian Esser
Sebastian Esser

Ist der Online-Journalismus „kaputt“? Das meint zumindest Sebastian Esser, Mitbegründer der Krautreporter – und präsentiert auch gleich ein Konzept zur Rettung des Genres, das in der vorigen Woche ein gewaltiges Medienecho auslöste: Bis zum 13. Juni wollen die Krautreporter mittels Crowdfunding 900.000 Euro sammeln, um ein anzeigen-und verlagsunabhängiges Online-Magazin zu gründen. 60 Euro im Jahr sollen die Unterstützer zahlen, damit ein Team aus 25 Autoren finanziert werden kann. Über 4000 Menschen unterstützen das Ganze bereits. Liegt im Crowdfunding also tatsächlich die Zukunft des Online-Journalismus? Die drehscheibe sprach mit Esser über das neue Geschäftsmodell.

Screenshot der Krautreporter
Mit einem Klick geht's zu den Krautreportern.

Herr Esser, Ihr neues Geschäftsmodell hat in den letzten Tagen für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Die Resonanz ist nicht nur positiv, einige Journalisten fühlten sich beispielsweise von der These, es gebe im Netz kaum lesenswerte Geschichten, angegriffen. Horizont-Chefredakteur Volker Schütz sprach von „Weltverbesserungs-Pathos“ . Was entgegnen Sie den Kritikern?

Ich möchte niemanden angreifen und keine Ratschläge geben. Tatsächlich habe ich keine Ahnung, ob das, was wir vorhaben, überhaupt funktionieren wird. Aber wir wollen ein Experiment wagen. Die Verlagen scheinen ja trotz der zunehmend verzweifelten Lage in ihrer Angst zu verharren, sie wollen nichts Neues wagen, weil sie befürchten, ihr Gesicht zu verlieren. Wir dagegen haben keine teure Infrastruktur – und daher nichts zu verlieren.

Sie wollen insgesamt 900.000 Euro sammeln, inzwischen haben Sie schon mehr als 4.000 Unterstützer. Was tun, wenn Ihnen am Ende dennoch ein paar tausend Euro fehlen - geringere Honorare zahlen, weniger Texte veröffentlichen?

Es sieht nicht schlecht aus, allein in den ersten 24 Stunden haben wir bereits 120.000 Euro gesammelt. Wir brauchen insgesamt 15.000 Unterstützer, damit unser Konzept aufgeht. Wenn das nicht klappt, wird es kein Magazin geben. Alles oder nichts, das ist unser Prinzip. Für weniger können wir es nicht machen.

Wie kam es zu der Idee, ein Magazin mittels Crowdfunding zu finanzieren?

Dahinter stecken zwei Perspektiven: Erstens waren wir aus dem Blickwinkel des Lesers unzufrieden mit dem Online-Journalismus. Denn weil guter Journalismus im Internet kaum zu finanzieren ist, leidet die Qualität. Da nur durch Werbung Geld verdient wird, geht es fast nur noch darum, möglichst viele Klicks zu produzieren, egal wie. Also etwa mit Ticker, Trash und Bilderstrecken. Überschriften werden für Suchmaschinen optimiert, nicht für die Leser. So ist eine Form von Google-Journalismus entstanden, bei der Texte für Maschinen, nicht für Menschen geschrieben werden. Und auch aus der Perspektive von uns Journalisten waren wir sehr unzufrieden: Wir hatten einfach keine Lust mehr, auf die Lösung der Verlage zu warten. Also wenden wir uns direkt an unsere Leser.

Was bekommt der Leser für sein Geld, was machen Sie anders als andere journalistische Webseiten?

Erstens können wir anders arbeiten, weil wir werbefrei und völlig verlagsunabhängig sind. Das heißt, wir können uns auf den guten, alten Journalismus zurückbesinnen – also ausführliche und gut recherchierte Geschichten anbieten. Bei uns wird es keine Häppchen, keine Klickstrecken geben. Zweites können wir unseren Stil der Sprache des Internets anpassen. Die etablierten Verlage geben ja kaum Geld für extra Online-Journalismus aus, meist werden nur Artikel nach dem Copy und Paste –Verfahren aus der Printausgabe online gestellt und vielleicht noch auf ein Youtube-Video verlinkt. Wir können dagegen multimedial berichten. Außerdem haben wir eine andere Haltung: mehr dialogorientiert, mehr subjektiv, nicht allwissend.

Also eine Art Bloggerjournalismus?

Nein, genau das wollen wir nicht. Kein Schreibtischjournalismus, keine reinen Kommentare – das gibt es im Netz schon genug. Wir wollen rausgehen und aufwendig recherchierte Reportagen bringen. Außerdem legen wir großen Wert auf den Dialog mit unseren Lesern. Dadurch, dass sie als zahlendes Mitglied zu unserer Community gehören, wissen wir ja auch viel über sie und können sie direkt kontaktieren. Wir können ganz konkret nachfragen: Wo sie wohnen etwa, was ihr Beruf ist und woran sie interessiert sind – um so maßgeschneiderte Geschichten liefern zu können, die sie wirklich lesen wollen.

Der Leser finanziert zwar den Journalist, aber es existiert in dem Sinne keine Paywall - jeder kann die Artikel lesen, auch wenn er kein Mitglied ist. Warum?

Weil das Konzept der Paywall einfach nicht funktioniert – nirgendwo auf der Welt, mit Ausnahme der New York Times vielleicht. Wir wollen, dass die Inhalte kostenfrei zugänglich sind, da unsere Autoren auch so viele Menschen wie möglich erreichen wollen.

Könnte Ihr Modell der zahlenden Mitglieder auch ein Konzept für den Lokaljournalismus sein?

Ja, denn die Lokalzeitungen sind, was die Community betrifft, ja schon sehr gut aufgestellt. Der Lokaljournalist pflegt schließlich schon den Kontakt mit den Menschen vor Ort und ist bestens vernetzt. Diesen Community-Aspekt könnte man in der Tat noch stärker ausbauen. Der Unterschied zum Paywall-Konzept liegt darin, dass hier ein Mehrwert, ein ganz neues Produkt geschaffen wird: Der Leser bezahlt in diesem Sinne nicht dafür, dass er einzelne Geschichten lesen darf, sondern dass er Mitglied eines Clubs wird. Er zahlt Eintritt dafür, dass er Teil einer Gemeinschaft wird, in der er sich mit Journalisten und anderen Mitgliedern austauschen kann. Das ist eine Idee, die gerade in Lokalen sehr gut funktionieren könnte.

Das heißt also, der Lokaljournalist sollte sich nicht nur als reiner Schreiber begreifen, sondern als Community-Manager?

Genau, es geht darum, authentische Momente zu schaffen, ein anderes Produkt – jenseits der reinen Artikels – zu entwickeln. Die Zeitung muss dem Leser das Gefühl geben, teil eines exklusiven Clubs zu sein. Denn besonders im Lokalen wird der Online-Journalismus auch in Zukunft kaum durch Werbung finanzierbar sein.

Interview: Johanna Rüdiger

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