Interview

Im Lokalen Themen rechtzeitig erkennen

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„Eine Woche mit...“ – so heißt ein neues Format der drehscheibe. Als erstes Blatt begleiten wir die Sächsische Zeitung. Wir sprachen vorab mit Ulli Schönbach, dem Leiter der Lokalredaktion in Bautzen, über Themenfindung im Lokalen, wie die Lokalzeitung als „kleine Tageszeitung“ funktioniert und über den Deutschen Lokaljournalistenpreis.

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Herr Schönbach, mit welcher Geschichte machen Sie heute den Lokalteil auf? (Das Gespräch wurde am 17. September geführt, die Red.)

Wir machen auf mit dem Thema Essensversorgung an den Schulen und Kitas.  Der Essensanbieter, eine Großküche aus dem Raum Dresden, hat den Vertrag wegen des Mindestlohns – so die Begründung – überraschend gekündigt. Das sorgt für große Aufregung, weil dieser Vertrag erst vor wenigen Wochen abgeschlossen worden war und zu höheren Preisen für die Eltern geführt hatte. Nun will das Unternehmen offenbar noch einmal höhere Preise durchsetzen. Darüber gibt es eine engagierte Diskussion, man fragt sich, woran das nun liegt: am Unternehmen, am Mindestlohn oder an der Art und Weise, wie das Essen hier vergeben wird, nämlich in großen Paketen für Grundschulen, Oberschulen und Kitas? Eltern kritisieren das und fordern eine Ausschreibung für jede Schule und Kindereinrichtung, damit auch kleine Gaststätten und Küchen wieder eine Chance erhalten.

Wie ist Ihre Lokalredaktion aufgebaut?

Wir sind mit 15 Kollegen eine ziemlich große Redaktion. Dabei sind wir in der Berichterstattung zuständig für 20 Städte und Gemeinden. Das ist ein weitläufiges Areal, was mit der Geschichte der Regionalzeitungen in Ostdeutschland zu tun hat. Außerdem sind wir der zentrale Produktionsstandort für den gesamten Landkreis, das heißt wir haben hier einen Newsdesk, der vier Lokalausgaben technisch produziert.

Wie viele freie Journalisten sind für Sie unterwegs?

Freie Journalisten spielen bei uns nicht die große Rolle. 70 Prozent der Arbeit verrichten bei uns Redakteure, den Rest decken wir überwiegend mit Tagespauschalisten ab, die auch vertraglich gebunden sind. Wir arbeiten darüberhinaus nur mit zwei freien Journalisten.

Wie sieht ein typischer Tagesablauf in Ihrer Redaktion aus?

Lokaljournalismus lebt ja sehr stark davon, dass man Themen rechtzeitig erkennt und plant und sich nicht so sehr von den Terminen treiben lässt. Wir versuchen bereits eine Woche vorher, uns Gedanken darüber zu machen, was in den einzelnen Städten und Gemeinden an Themen auf uns zukommt. Wir erstellen einen relativ dichten Plan, der gleichzeitig so flexibel handhabbar ist, dass er jederzeit geändert werden kann. Die Nachricht über den Essensanbieter beispielsweise kam gestern überraschend im Laufe des Tages herein, was die Planung, die wir am Vorabend erstellt hatten, schnell umgeworfen hat. Wir haben dann eine erfahrene Kollegin beauftragt, das Thema zu recherchieren, um es dann als Aufmacher zu platzieren.

Wie viele Lokalseiten produzieren Sie am Tag?

Das sind täglich sechs bis acht Seiten, woran schon deutlich wird, dass wir den Lokalteil klug abmischen müssen. Wir können nicht wie andere Lokalzeitungen täglich eine Seite pro Gemeinde anbieten. Also müssen wir wie eine Tageszeitung im Kleinen funktionieren. Auf der lokalen Aufschlagseite brauchen wir Themen, die die Menschen möglichst in allen Städten und Gemeinden interessieren. Dabei kommt uns zugute, dass die Stadt Bautzen sehr zentral für die Region ist, dass viele Menschen hier einkaufen und arbeiten und ihre Behördengänge erledigen. Themen unserer Stadt strahlen daher stark auf die umliegenden Gemeinden aus. Aber man muss auch übergreifende Themen finden und Tendenzen erkennen, die sich auf alle Gemeinden auswirken. Das Umland ist zum Beispiel sehr landwirtschaftlich geprägt. Ein Thema wie der sinkende Butterpreis und welche Folgen das für die landwirtschaftlichen Betriebe hat ist natürlich für alle Gemeinden hier interessant. Das bringen wir dann auch auf der lokalen Aufschlagseite.

Eine Frage zu einem Dauerstreitthema, das die drehscheibe schon seit einiger Zeit verfolgt: Wie verfahren Sie mit der Vereinsberichterstattung?

Wir haben so viele Vereine in unserem Einzugsgebiet, dass es eine klassische Vereinsberichterstattung bei uns schon aus Platzgründen gar nicht geben kann. Wir behandeln Vereine genauso wie alle anderen gesellschaftlichen Akteure: Wenn es relevante Themen gibt, dann berichten wir darüber, in der Regel machen das unsere Autoren, das Hereinreichen von Veranstaltungsberichten findet bei uns nicht statt. Aber bei uns in der Region gibt es diese Tradition auch gar nicht, und die Vereine in unserer Gegend erheben darauf keinen Anspruch.

Welche lokalen Geschichten gehen dann online? Wie wird das ausgewählt?

Wir befinden uns mitten in einer Umbruchphase. Im Moment ist es bei der Sächsischen Zeitung so, dass am Ende des Tages die Lokalteile komplett online gestellt werden und zu 100 Prozent hinter einer Bezahlschranke stehen. Dieses Modell hat sich aber nicht wirklich bewährt. Es gibt schlicht tagesaktuelle Inhalte, die am nächsten Tag für den User nicht mehr relevant sind, und es gibt Themen und Nachrichten, die ohnehin online kostenfrei zu haben sind. Deshalb beginnen wir Mitte Oktober mit einem Pilotprojekt. Wir wollen die Online-Berichterstattung neu strukturieren und schon tagsüber mit Berichten präsent sein, und zwar überwiegend kostenfrei. Das, was wir exklusiv haben und unsere Berichterstattung auszeichnet, wird weiterhin hinter der Bezahlschranke bleiben.

Sie haben zusammen mit Ihrem Kollegen Christian Eißner in einer aufwendigen Aktion die familienfreundlichste Kommune der Region gesucht – für diesen „Familienkompass“ erhalten Sie den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Wie haben Sie das neben der alltäglichen Arbeit hinbekommen?

Da muss ich mich zunächst bei meiner Redaktion bedanken. Denn die hat akzeptiert, dass ich mir hierfür immer wieder einige Stunden und Tage freischaufeln musste. Das gesamte Projekt lief über fast ein Jahr. So etwas ist nicht neben dem Alltagsgeschäft zu bewältigen. Außerdem haben wir es geschafft, alle Stärken des Verlags an einer Stelle zu bündeln. Es ist uns gelungen, viele Kollegen in allen Bereichen des Verlages für dieses Projekt zu begeistern. Auch unser Haus hat sich ja in der Vergangenheit neue Geschäftsfelder im Bereich Telefonmarketing, Werbung und Postvertrieb gesucht. So wurden zum Beispiel Fragebögen des Familienkompasses aus dem gesamten Verbreitungsgebiet kostenfrei über das Postunternehmen des Verlages eingesammelt. Unser Callcenter hat dann die komplette Erfassung der Fragebögen übernommen. Die hauseigene Werbeagentur hat eine Marke entwickelt, hat Partner und Sponsoren gesucht, das hat uns alles unheimlich geholfen. Am Ende haben über zehn Abteilungen unseres Hauses an dem Projekt mitgewirkt.

Können Sie uns noch verraten, welche Themen diese Woche bei Ihnen eine größere Rolle spielen könnten?

Wir werden natürlich die Geschichten weiterverfolgen, die momentan stark diskutiert werden, wie zum Beispiel die Frage des Essensanbieters. Außerdem stehen wir in Bautzen vor der Situation, dass bei der Landtagswahl sehr viele Wähler für die NPD gestimmt haben. Hier wollen wir nach Ursachen suchen, warum es diese Tendenz gerade hier in der Region gibt. Eng damit verknüpft ist ja das Thema Flüchtlinge. Es gibt in Bautzen ein großes Asylbewerberheim, es soll auch noch ein weiteres entstehen. Darüber wird viel diskutiert, und diese Debatten wollen wir begleiten, indem wir einerseits die Sorgen der Bürger aufgreifen, andererseits aber auch zeigen, was das für Menschen sind, die als Flüchtling hier ankommen. Welche Motive haben sie, welche Geschichten erzählen sie? Wir haben auch bereits Menschen vorgestellt, die ehrenamtlich im Asylbewerberheim helfen, einfach um für mehr Offenheit zu sorgen und die Atmosphäre in eine konstruktive Richtung zu verändern.

Kontakt:
Ulli Schönbach
Redaktionsleiter
Sächsische Zeitung
Lauengraben 18
02625 Bautzen
Tel.: 03591 – 49 50 50 13
E-Mail: schoenbach.ulli@dd-v.de
Internet: www.sz-online.de
Zum Deutschen Lokaljournalistenpreis 2013
Präsentation der Preisträger in der drehscheibe
Eine Woche mit... der Sächsischen Zeitung

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