Interview

„Journalisten mit Migrationshintergrund müssen gezielt gefördert werden“

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Migranten sind im Lokalen nach wie vor zahlenmäßig unterrepräsentiert. Die Wiener Onlineplattform daStandard.at, die Anfang 2010 ins Leben gerufen wurde, hat es sich daher zum Ziel gesetzt, eben jenen Menschen den Einstieg in den Beruf des Journalisten zu erleichtern. In der Redaktion sind ausschließlich junge Nachwuchsjournalisten mit Migrationshintergrund tätig. Sie berichten über Migrationsthemen und legen ihre Sicht auf die sich verändernde Gesellschaft dar. Angebunden ist die Online-Plattform an derStandard.at, den Webauftritt der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Im April 2011 wurde daStandard.at mit dem Civis – Europas Medienpreis für Integration ausgezeichnet. Die drehscheibe sprach mit Olivera Stajic, der Leiterin der Online-Plattform.

Screenshot von daStandard.at
Mit einem Klick aufs Bild gelangen Sie zur Homepage von daStandard.at

Frau Stajic, daStandard.at ist 2010 mit dem Ziel gestartet, Menschen mit Migrationshintergrund den Einstieg in den Beruf des Journalisten zu erleichtern. Sind Sie diesem Ziel näher gekommen?

Auf jeden Fall. Gerlinde Hinterleitner, die ehemalige Chefredakteurin von derStandard.at, wollte die Diversität der österreichischen Gesellschaft in der Berichterstattung und in der Zusammensetzung der Redaktion abbilden. Sie und Klaus Weinmaier hatten die Idee, eine Redaktion zu gründen, die sich ausschließlich aus Menschen mit Migrationshintergrund zusammensetzt. Diese Redakteure sollten über unsere Plattform den Weg in den Beruf finden. daStandard.at war als Sprungbrett, als Türöffner gedacht. Das funktioniert. Viele unserer ehemaligen Mitarbeiter schreiben mittlerweile für andere Medien. Zwei sind bei uns untergekommen, eine Kollegin ist bei der Wiener Zeitung, einer arbeitet bei der österreichischen Nachrichtenagentur APA, eine ist Geschäftsführerin eines Vereins, der Schüler mit Migrationshintergrund fördert.

Ein häufiges Argument ist, dass es keiner Förderung migrantischer Journalisten bedarf. Dass das nur eine Frage der Zeit sei.

Das höre ist oft. Nach dem Motto: Die Guten, wenn es sie denn gibt, werden schon zu uns kommen, wenn sie denn wollen. Dieser Mechanismus funktioniert aber nicht so simpel. Es braucht eine gezielte Förderung. Die Zahlen zeigen es doch: Als wir mit der Plattform gestartet sind, gab es eine kleine Umfrage des Wiener Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften unter Chefredakteuren. Heraus kam, dass lediglich 0,5 Prozent aller Redakteure in Tageszeitungen einen Migrationshintergrund haben.

Hat sich daran mittlerweile etwas geändert?

Es hat sich viel getan. Ich lese immer häufiger Redakteursnamen, die mir migrantisch vorkommen. Das freut mich sehr. Würden wir jetzt eine Erhebung machen, sähe die sicher besser aus. Nichts desto trotz gibt es noch viel zu tun. Insbesondere in Boulevardzeitungen scheint mir die Zahl der Redakteure mit Migrationshintergrund gering zu sein. Im öffentlichen Rundfunk höre ich nie Moderatoren mit Akzent. Ich fände das überhaupt nicht verwerflich. Bei der BBC ist das zum Beispiel gar kein Problem.

Ein weiteres Ziel von daStandard.at ist die gerechte mediale Repräsentation der Menschen mit Migrationshintergrund. Wie bewerten Sie die Migrationsberichterstattung der vergangenen Jahre?

Es gab mehrere Phasen. In Österreich wurde 30, 40 Jahre lang – und in Deutschland noch länger – nie über die erste Generation der Gastarbeiter berichtet. In den 90er-Jahren haben die Rechtsextremen diese Gruppe als die Feindesgruppe deklariert. Ab da an wurde das Thema Migration problematisiert. In der dritten Phase, in der wir uns zum Teil noch immer befinden, stellen wir das Thema als eine kulturelle Bereicherung dar. Es werden häufig die vermeintlichen Vorzeigemigranten präsentiert – der Migrant im Kärntner Trachtenverein etwa.

Was wäre die „ideale Phase“?

Die der Selbstverständlichkeit. Wenn man recherchiert, ruft man auch Experten mit fremden Namen an. Bei Straßenumfragen befragt man alle. Ich will nicht sagen, dass es schlecht ist, migrantische Erfolgsgeschichten zu thematisieren. Schließlich ist das auch ein Teil der Wirklichkeit. Aber wir sollten einfach ganz selbstverständlich darüber reden, welche Vor- und Nachteile es hat, dass sich die Zusammensetzung der Gesellschaft verändert. Es ist fatal, dass viele Probleme als „Integrationsprobleme“ betitelt werden, obwohl es sich um soziale Unterschiede handelt. Wenn man darüber berichtet, wie schlecht Migrantenkinder in der Schule sind, dann sollte man sie mit einer ähnlichen sozialen Schicht vergleichen. Dann würde man feststellen, dass der Unterschied gar nicht so groß ist. Auf daStandard.at geht es uns nicht darum, Klienteljournalismus zu betreiben. Wir sprechen nicht von den armen Migranten die ständig nur diskriminiert werden. Das ist eine Art der Berichterstattung, die mich wahnsinnig nervt. Wenn wir Fremdenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus betrachten, dann schauen wir auch in die eigenen Reihen. Denn Vorurteile gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen gibt es auch unter Migranten. Weil jemand einen Migrationshintergrund hat oder Flüchtling ist, macht ihn das nicht per se zu einem besseren Menschen. Es geht uns darum aufzuzeigen, dass es Migration seit jeher gibt. Deswegen berichten wir auch oft über Auslandsösterreicher. Wir möchten eine Gesellschaft beschreiben, die sich verändert.

Sie arbeiten mit Autoren aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen. Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?

Mittlerweile ist daStandard.at ein Selbstläufer. Die Leute kennen uns. Am Anfang habe ich gezielt in unserem Blatt, auf Netzwerken und über Universitäten inseriert – auf die Gefahr hin, verklagte zu werden, weil wir ja quasi diskriminieren, indem wir ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund suchen. Das ist aber nie passiert. Wir haben auch explizit nach Leuten mit wenig oder gar keiner journalistischen Erfahrung gesucht. Denn der Journalistenberuf ist einer mit sozialen Schranken. Zwar bedarf es nicht unbedingt eines akademischen Hintergrunds, aber es ist ein durch und durch bürgerlicher Beruf. Deswegen haben wir uns die Nachwuchsförderung auch zum Ziel gesetzt.

Wie sieht diese Förderung aus?

Ich verwende viel Zeit auf das Redigieren der Artikel. In kleinen Workshops versuche ich das, was ich über mein journalistisches Handwerkszeug weiterzugeben. Außerdem sollen sich die Autoren ausprobieren dürfen. Denn Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, mit unterschiedlichen Hintergründen greifen verschiedene Themen auf beziehungsweise setzen sie unterschiedlich um. Das kann eine Redaktion bereichern.

Was sind das für Themen?

Ich arbeite immer mit sechs bis acht freien Mitarbeitern zusammen die meist einmal pro Woche eine eigene Geschichte liefern. Das heißt, jeden Tag erscheint ein selbst recherchierter Artikel. Agenturmeldungen verwenden wir nicht. Was die Themen anbelangt, orientieren wir uns nicht daran, was zurzeit migrations- und integrationspolitik diskutiert wird. Meine Autoren schreiben ausschließlich über das, war sie interessiert. Das kann ein Artikel darüber sein, was in den Herkunftsländern der Eltern passiert. Oder ein Blick auf die Medien, die sich an bestimmte ethnische Communitys in Österreich richten. Es werden Lebensgeschichten vorgestellt, Kieze porträtiert oder Abgeordnete interviewt. Oder wir besuchen Konzerte, stellen neue Bücher vor und machen Straßenumfragen. Es geht stets um Diversität – nicht nur ethnische. Eine daStandard-Blattlinie haben wir nicht.

Wie haben sich die Zugriffszahlen entwickelt?

Gestartet sind wir mit monatlich 40.000 Unique Clients, also Zugriffen pro Gerät. Mittlerweile sind es etwas mehr als 140.000.

Werden die Texte auch auf derStandard.at platziert?

Ja, etwa 80 Prozent der Artikel von unserer Plattform erscheinen auch auf dem Onlineauftritt der Printausgabe. Dabei kann man nicht auf den ersten Blick erkennen, aus welcher Redaktion der jeweilige Text kommt. Außerdem veröffentlichen wir mehrmals im Jahr eine vier- bis sechsseitige daStandard-Printausgabe in der wir schwerpunktmäßig ein bestimmtes Thema abbilden, etwa Bildung oder Mehrsprachigkeit. In der vergangenen Ausgabe widmeten wir uns dem Thema Parallelwelten.

Warum haben Sie daStandard.at nicht gleich auf derStandard.at integriert?

Wir wollen gezielt sichtbar machen, dass es kaum Journalisten mit Migrationshintergrund gibt aber sehr viele junge Leute mit interessanten Themenideen. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass sich unsere Print- stark von der Onlineleserschaft unterscheidet.

Interview: Jana Illhardt

Kontakt

Olivera Stajic
E-Mail: Olivera.Stajic@DerStandard.at

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