Interview

„Ungleichheit ist demokratiegefährdend“

von

Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft und Sprecher des Exzellenzclusters "Die politische Dimension der Ungleichheit" an der Uni Konstanz.
Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz.

Aus sozialer Ungleichheit können politische Bewegungen entstehen, die die Demokratie in Gefahr bringen können, meint Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Politische Ökonomie am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Konstanz. Er ist Sprecher des Exzellenzclusters „Die politische Dimension der Ungleichheit“, das seit 2019 diese und ähnliche Fragen im Rahmen von interdisziplinären Forschungsprojekten untersucht.

 

Herr Busemeyer, worum geht es beim Forschungsprojekt „Die politische Dimension der Ungleichheit“?

Das sogenannte Exzellenzcluster ist ein Forschungszentrum, in dem wir die politischen Ursachen und Konsequenzen von Ungleichheit untersuchen. Wir schauen uns dafür praxisnahe Themenschwerpunkte, wie Bildungsungleichheit, Arbeitsmarkt, Einkommen, Vermögensungleichheit und Beteiligungsrechte, an. Wir führen derzeit 25 Teilprojekte zu dem großen Überthema Ungleichheit durch und versuchen dabei, unterschiedliche Analyseperspektiven aus verschiedenen Disziplinen, wie unter anderem der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Ökonomie und der Linguistik, zusammenzubringen.

Was untersuchen Sie und Ihr Team genau?

Wir untersuchen drei große Forschungsbereiche, der erste ist die Wahrnehmung von Ungleichheit. Darunter fallen Fragen, wie: Wann werden bestimmte Verteilungen eigentlich als fair oder unfair wahrgenommen? Und welche Faktoren beeinflussen diese Wahrnehmungen? Der zweite Bereich ist die politische Beteiligung, in dem wir uns Fragen stellen wie: Wie wirken sich diese unterschiedlichen Wahrnehmungen von Ungleichheit auf Fragen der politischen Beteiligung aus? So fragen wir uns beim Beispiel von „Fridays for Future“, was die Entstehung dieser Bewegung mit Generations- oder Einkommensungleichheiten zu tun haben könnte. Und der dritte Forschungsbereich konzentriert sich darauf, herauszufinden, wie die Politik auf Ungleichheit reagiert. Eine Beispielfrage wäre hier, ob die Interessen von wohlhabenderen Menschen in der Politik leichter Gehör finden als die von ärmeren Menschen. Das sind im Groben unsere inhaltlichen Schwerpunkte.

Was hoffen Sie, mit diesem Projekt zu erreichen?

Es gibt eine lange Tradition von Ungleichheitsforschung, und die klassische Forschung hat über die Jahre sehr viele wichtige Befunde produziert darüber, welche Faktoren Ungleichheit wie beeinflussen. Was diese klassische Ungleichheitsforschung jedoch weniger im Blick hat, sind die politischen Auswirkungen von Ungleichheit, zum Beispiel die Frage, ob Ungleichheit mit dem Erstarken von rechts- oder auch linkspopulistischen Parteien zusammenhängt. Diese und viele andere Fragen, zum Beispiel zur Wahrnehmung von Minderheitsrechten in den Ländern des globalen Südens, sind in der klassischen Ungleichheitsforschung häufig zu kurz gekommen. Diese möchten wir beantworten. Aus den Ergebnissen wollen wir verstehen lernen, inwiefern Ungleichheit auch demokratiegefährdend sein kann.

Haben sich die Ungleichheiten in der Gesellschaft durch die Pandemie, die Klimakrise oder den Ukraine-Krieg verschärft?

Wir haben im Exzellenzcluster für den Fall der Pandemie ein Umfrageprogramm aufgelegt, in dem wir den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und der Pandemie betrachten. Auch hier legen wir den Schwerpunkt auf politische Zusammenhänge und Konsequenzen und fragen dabei: Wie hängt das Vertrauen in die Politik mit der Zustimmung zu Lockdownmaßnahmen zusammen? Und: Wie hängt Impfbereitschaft zusammen mit politischem Vertrauen? Und gerade in dem Bereich haben unsere Forschungsergebnisse viel öffentliche Resonanz gefunden. Was das Klimathema angeht, haben wir uns für den Fall Deutschland das Thema CO2-Steuer angeschaut. Bei diesem konnten wir zeigen, dass die Wahrnehmungen der Verteilungswirkung einer solchen CO2-Steuer teilweise verzerrt sind. Dass also ärmere Bürgerinnen und Bürger viel zu pessimistisch sind, wenn es um die Verteilung solcher Steuern geht. Die Ukraine-Krise wiederum – da ist es jetzt noch ein wenig sehr früh, um zu sehen, ob sie die Ungleichheit weiter verstärkt oder nicht. Man muss auch vorsichtig sein, nicht zu undifferenziert über Ungleichheit zu sprechen. Ungleichheit nimmt nicht immer überall zu. Man sollte hier eine differenzierte Perspektive einnehmen, die genau untersucht, ob gewisse Arten und Dimensionen von Ungleichheiten zu- oder vielleicht auch abnehmen.

Kann es sein, dass auch Medien zu ungleichen Verhältnissen beitragen?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben in dem Forschungsbereich der Wahrnehmungen von Ungleichheit auch einen Schwerpunkt auf das Thema „Framing“ gelegt. Also die Frage, wie eigentlich bestimmte Argumente in Diskursen „geframed“ oder dargestellt werden. Da gibt es zum Beispiel ein Projekt namens „Framing von Ungleichheit“. Das schaut sich die Darstellung der Flüchtlingskrise 2015/2016 mit linguistischen Methoden in unterschiedlichen Medien an und versucht die sprachlichen Konstrukte herauszuarbeiten, wie dieses Framing in unterschiedlichen Medien unterschiedlich passiert. Ich glaube in der Tat, dass man da noch spannende interdisziplinäre Perspektiven entdecken kann zwischen der Politikwissenschaft und der Linguistik, die bisher immer nebeneinander geforscht haben.

Was würden Sie Lokalredaktionen raten, die über Ungleichheit in der Region berichten möchten?

Wir legen Wert auf die enge Kooperation mit der Lokalpresse, in unserem Fall dem Südkurier. Der Südkurier hatte beispielsweise vor ein paar Wochen einen großen Thementag zum Thema soziale Gerechtigkeit. Da waren wir mit einem kleinen Porträt vertreten, neben verschiedenen Akteuren aus der Praxis, die auch hautnah mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder eben auch Ungleichheit zu tun haben. Die Wissenschaft mit der Praxis in den Dialog zu bringen, empfinde ich als eine schöne Variante, Themen wie Ungleichheit für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten. Selbst wenn der Dialog zunächst oft nur darum besteht, verschiedene Thesen gegenüberzustellen. Unser „Journalists-in-Residence“-Programm, was sich speziell an Journalisten richtet, hilft uns auch, unsere wissenschaftliche Expertise mit Medienschaffenden außerhalb der Wissenschaft zu verbinden. Darauf kann sich jede Journalistin und jeder Journalist gern bewerben.

Was möchten Sie in Bezug auf ihre Forschungsarbeit Lokalredaktionen mit auf den Weg geben?

Die differenzierte Sichtweise ist sehr wichtig. Man hat sicher auch am Beispiel der Pandemie gelernt, dass es zwischen Wissenschaft und Medien noch verschiedene Missverständnisse und auch Kommunikationsschwierigkeiten gibt. Ja, die Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit. Aber diese Wahrheit ist oft mit viel Unsicherheit behaftet, und das muss man auch kommunizieren können. Vor allem bei Fragen wie: Was kostet uns der Ukraine-Krieg? Das sind alles Schätzungen, und die politischen Auswirkungen sind stark ambivalent. Dadurch entstehen immer wieder diese Kommunikationsschwierigkeiten, die zu weiteren sozialen Auswirkungen, wie zum Beispiel dem Misstrauen in das Gesundheitssystem führen können. Daher sollte auf eine differenzierte Perspektive in der Berichterstattung geachtet werden, um diese Missverständnisse zu vermeiden.

 

Das Projekt

Das Team von 120 Forschenden untersucht drei große Bereiche der Ungleichheit: die Wahrnehmung von Ungleichheit, die Beteiligung an politischen Bewegungen durch Ungleichheit und wie die Politik selbst auf Ungleichheit reagiert. Dabei werden sich besonders auf die politischen Ursachen sowie die Konsequenzen von Ungleichheit konzentriert, die in bisheriger Ungleichheitsforschung vernachlässigt wurden. Hier geht es zum Exzellenzcluster

Prof. Dr. Marius R. Busemeyer

Ist Professor für Politikwissenschaft und Sprecher des Exzellenzclusters „Die politische Dimension der Ungleichheit“ an der Uni Konstanz.

E-Mail Marius.Busemeyer@uni-konstanz.de

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