Leseranwalt

Das Gespür der Leser

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Wenn sich ein Artikel um politische Parteien dreht, kann die Ombudsfrau von El País immer mit Zuschriften rechnen. Kürzlich protestierten die Leser aber auch gegen eine Krankenhausrecherche.

Die Tageszeitung El País war in Spanien Pionier in Sachen Presse-Ombudsmann, sie führte diesen Posten bereits im Jahr 1985 ein und war mit dieser Entscheidung früher dran als viele der großen internationalen Tageszeitungen. In dieser Stelle hatte ich elf Kollegen als Vorgänger, drei davon Frauen. Jede und jeder musste sich mit anderen Situationen auseinandersetzen, doch niemand sah sich mit einer so vielfältigen und kritischen Leserschaft konfrontiert wie ich heute. El País erschien erstmals im Mai 1976, die digitale Ausgabe hat heute über zwölf Millionen Leser, und die Zeitung ist weltweit beachtet.

Ich arbeite in einem Büro im ersten Stock des Zeitungsgebäudes, neben der Beilagenredaktion. Meine tägliche Aufgabe ist es, die Beschwerden und Bitten zu prüfen, die in meinem virtuellen Briefkasten landen, und sie alle zu beantworten. In einigen Fällen muss ich für eine solche Antwort vorher Informationen bei den Verantwortlichen der verschiedenen Ressorts einholen. Wenn ein Artikel breite Reaktionen auslöst, versuche ich dies in den Artikeln, die ich alle zwei Wochen in der gedruckten Ausgabe der Zeitung veröffentliche, zu besprechen. Wenn es um Themen geht, die eine schnelle Antwort erfordern, spreche ich sie in meinem Blog an, der über die digitale Ausgabe der Zeitung im Bereich Meinungsaustausch verlinkt ist.

Spanien ist ein hoch ideologisiertes Land, und viele der Proteste, die ich erhalte, beziehen sich auf Artikel, die von politischen Parteien handeln, insbesondere von der jüngsten namens Podemos, die aus einer Protestbewegung hervorgegangen ist. Als Beauftragte kann ich weder die Artikel noch die Meinungskolumnen besprechen, außer in den hypothetischen Fällen, in denen die ethischen Prinzipien von El País verletzt werden. Kürzlich musste ich mich mit einer Geschichte befassen, die von den Lesern stark kritisiert wurde: mit einem Bericht, den wir der 44-jährigen Krankenpflegerin aus Madrid, Teresa Romero, gewidmet hatten, dem ersten Fall einer Ebola-Infektion außerhalb Afrikas. Ein Artikel rief zahlreiche Kritiken hervor: Unter dem Titel „Schleichweg über die fünfte Etage“ berichtete er über den unerlaubten Besuch einer Redakteurin in jener Etage des Krankenhauses, in der mehrere Personen mit Verdacht auf Kontakt mit dem Ebola-Virus behandelt wurden. Viele Leser fanden, dass dies eine für die Yellow Press oder die Sensationspresse typische Berichterstattung sei. Weit entfernt von dem Stil, den El País normalerweise pflegt.

Das Thema wurde in einem Artikel der Beauftragten in der gedruckten und der Online-Ausgabe der Zeitung behandelt. Der von den Lesern kritisierte Bericht war eine Verschmelzung von unzusammenhängenden Daten und Erklärungen, die unter einer aufsehenerregenden Überschrift zusammengetragen worden waren. Und er sollte nur zeigen, dass es möglich war, die Wachen des Krankenhauses zu umgehen. Ein nicht uninteressantes Ziel, das als Aufhänger für die Erstellung eines solideren Berichts hätte dienen können. Mit diesen Belegen in der Hand hätte die Redakteurin eine Erklärung von den Verantwortlichen der Klinik und der Gesundheitsbehörde fordern und einen exzellenten Artikel schreiben können, zweifelsohne mit politischen Konsequenzen.

Lola Galán

Autorin

Lola Galán ist Ombudsfrau von El País.
E-Mail: defensora@elpais.es

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