Leseranwalt

Ein Tag, der die Stadt veränderte

von Sonja Volkmann-Schluck

Aus drehscheibe 05/2025

Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 hat das Leben sehr vieler Menschen, einer Stadt und eines Landes für immer verändert. Die Redaktion der Volksstimme kann und wird das Ganze nicht zu den Akten legen. Doch eine Zwischenbilanz mit zeitlichem Abstand ist sinnvoll: Wie haben wir berichtet? Was ist gelungen? Was würden wir heute anders machen?

Direkt nach der Tat 

Die Nachrichtenlage am Freitag ändert sich im Sekundentakt, Gerüchte breiten sich rasant aus, klar ist: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Es gilt zuallererst herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Die Artikel im Laufe des Abends online und am Samstag im Print sind im Tonfall bewusst nachrichtlich, die Auswahl der Bilder zurückhaltend. Es braucht keine reißerischen Formulierungen und Schockfotos, um die allseitige Erschütterung spürbar werden zu lassen. Aus der Hektik heraus erklärbar, aber nicht optimal: Im Internet war bei uns auch dann noch von „vermutlich Dutzenden Toten“ die Rede, als andere Medien längst von deutlich geringeren Zahlen ausgingen.

Die Ausgabe am Montag 

„Warum?“ Ein einziges Wort und ein Bild des Blumenmeers am Trauerort – die Titelseite der Printausgabe am 23. Dezember habe, so eine Leserin, vielen direkt aus dem Herzen gesprochen. Ähnliches gilt für die weiteren Berichte, von der Seite 2 übers Lokale bis zum Sport. Auf die Frage nach dem Sinn einer sinnlosen Tat wird es wohl nie eine Antwort geben. Andere Fragen, die die Berichterstattung bis heute dominieren, müssen beantwortet werden: Wie konnte es zum Anschlag kommen? Wer trägt wofür Verantwortung? Was muss für Opfer und Betroffene getan werden?

Spagat in den Feiertagswochen 

Eine Zeitung muss sowohl ernste als auch heitere Dinge abbilden. Wenn der Abgrund zwischen tiefer Trauer und großer Freude so tief klafft, muss eine Redaktion ihre Themenwahl besonders sensibel austarieren. Vorbereitet waren Beiträge passend zur Stimmung an frohen Feiertagen, zu weichen unverfänglichen Themen. Aus der Volksstimme in den Wochen nach dem Attentat lässt sich gut ablesen, in welchem Maße für viele Menschen ein Stück des normalen Alltags zurückgekehrt ist.

Was fehlte 

Es gehört zur bitteren Realität, dass Menschen anderer Nationalitäten und mit Migrationsgeschichte seit dem Anschlag mehr Anfeindungen und Angriffe erfahren. Dies ist zwar im Lokalteil in einigen Berichten erwähnt worden. In der überregionalen Berichterstattung wurde es seit einem Bericht am 30. Dezember aber zunächst nicht weiterverfolgt. Hier hat die Redaktion inzwischen nachgesteuert.

Was wir anders machen 

In manchen Medien wird der volle Name des Attentäters genannt. Das ist laut Pressekodex erlaubt, da die Tat besonders schwer war und in aller Öffentlichkeit begangen wurde. Wir haben uns dennoch entschieden, den Namen nur abgekürzt zu verwenden. Der Täter steht durch jeden Bericht wieder im Fokus der Öffentlichkeit; das ist unvermeidlich, da es nicht akzeptabel wäre, gar nicht zu berichten. Wir wollen das Forum, das er durch seine Erwähnung erhält, jedoch so klein wie möglich halten.

Heike Groll

Autorin

Heike Groll ist Leitende Redakteurin in der Chefredaktion der Volksstimme und zuständig für Personalentwicklung und redaktionelles Projektmanagement. Seit 2022 ist sie auch Leseranwältin.

E-Mail: heike.groll@volksstimme.de

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