Leseranwalt

Leser als moralische Instanz

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Erinnern Sie sich noch daran, wie der Schauspieler Michael Douglas der britischen Zeitung The Guardian erklärte, sein Kehlkopfkrebs sei durch Oralsex verursacht worden? Die Tinte war noch feucht, als Douglas leugnete, so etwas im Interview gesagt zu haben. Die Zeitung reagierte mit der Veröffentlichung des auf Video aufgezeichneten Interviews im Internet. Douglas wurde korrekt zitiert. Ende der Diskussion. In diesem Fall war kein Ombudsmann nötig.

Vergangene Woche beschwerte sich der Justizminister von Sint Maarten, dass ihn De Volkskrant falsch zitiert habe. Mehr sogar: Es habe überhaupt kein Interview gegeben, sagte der Minister. Es habe sich nur um ein informelles Gespräch zwischen ihm und einem Volkskrant-Journalisten in der Lobby eines Hotels gehandelt. Nichts sei aufgezeichnet worden. Die Leser bitten mich nun um Hilfe. Sie wollen wissen, wer die Wahrheit gesagt hat. Das bedeutet: viel Arbeit für mich als Ombudsfrau.

In diesem Fall ist die Wahrheit nicht so leicht aufzudecken. Aber als Ombudsfrau forsche ich nach, ob der Reporter gemäß den professionellen Standards gearbeitet hat. Standards, die für Journalisten im Allgemeinen und für Volkskrant-Journalisten im Speziellen gelten.

Jeden Samstag veröffentliche ich eine meiner Beurteilungen. Und manchmal lautet meine Schlussfolgerung, dass die Zeitung die Standards nicht eingehalten und tatsächlich einen schlechten Job gemacht hat. Sie können sich vorstellen, dass mich dies in der Nachrichtenredaktion nicht gerade beliebt macht. Die meisten Journalisten hier haben eine sehr professionelle Haltung. Sie akzeptieren die Tatsache, dass ihre Arbeit (öffentlich) von einer unabhängigen Ombudsfrau beurteilt werden kann. Die meisten Personen hier glauben, dass es sich um ein Mittel handelt, um die Qualität der Zeitung zu verbessern, und nicht, um einen Sündenbock zu finden. Mittels einer Ombudsfrau kann natürlich auch der Kontakt zu den Lesern verbessert werden. Sie sind sehr erleichtert, wenn Beschwerden ernst genommen werden. Genau das erwarten sie von einer guten Zeitung.

Die meisten Beschwerden beziehen sich im Allgemeinen auf die Richtung der Zeitung und auf moralische Fragen. Viele Leser befürchten, dass eine Zeitung zu viele Boulevardthemen behandelt. De Volkskrant ist eine seriöse Zeitung, aber es gibt inzwischen mehr Berichte über frivole Themen als früher. Der Schreibstil verändert sich. Die Artikel wurden früher in einem sehr offiziellen Stil gehalten. Jetzt werden die Journalisten dazu ermutigt, ihren eigenen Schreibstil zu entwickeln. Aber genau dies führt zu den Bedenken der Leser, dass sich die Zeitung zu sehr auf den Verkauf konzentriert, anstatt seriös über die wichtigen Entwicklungen im Land zu berichten.

Die Leser stellen mir viele moralische Fragen. Warum erwähnt eine Zeitung den ethnischen Hintergrund eines Verdächtigen? Ist dieser relevant? Oder brandmarkt die Zeitung eine bestimmte Personengruppe? Und warum druckt die Zeitung den Namen und ein großes Foto eines Wissenschaftlers ab, der Betrug begangen hat? Ein Leser schrieb: „Sind Ihnen die Auswirkungen dessen auf seine Frau und Kinder bewusst?“ Letztes Jahr beschwerte sich ein lesbisches Paar darüber, dass es von der Zeitung fotografiert wurde, während es auf den Hochzeitswagen wartete. Die Frauen sahen wunderschön aus in ihren weißen Märchenkleidern, aber ihrer Meinung nach war die Veröffentlichung ihres Fotos ein Eingriff in ihre Privatsphäre – obwohl sie auf der Straße, also auf öffentlichem Terrain, standen.

Ich versuche, eine Beurteilung auf professioneller (und nicht persönlicher) Ebene abzugeben. Im Fall des lesbischen Paares zum Beispiel gibt es klare professionelle Standards, Gesetze und Richtlinien. Ich liebe meinen Job, da er mich dazu zwingt, den Journalismus von außen zu betrachten. Die Öffentlichkeit versteht nicht immer, warum die Zeitung das tut, was sie tut. Und manchmal liegt sie verdammt richtig, und ihre Kritik hilft der Zeitung dabei, wieder auf die richtige Bahn zu kommen.

Margreet Vermeulen

Autorin

Margreet Vermeulen ist Ombudsfrau der Zeitung De Volkskrant aus Amsterdam.
Telefon: 0031 – 655 81 63 63
E-Mail: m.vermeulen@volkskrant.nl

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