Leseranwalt

Mit Ehrlichkeit beeindrucken

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Bei harscher Kritik durch die Leser konzentriert sich der Ombudsmann der Hürriyet auf den Inhalt. Wachsame Leser würden wiederum dabei helfen, den Journalismus zu verbessern.

Manchmal erreichen mich hasserfüllte E-Mails. Leser, die sich über einen Zeitungsartikel oder Kommentar geärgert haben, machen ihrem Ärger bei mir Luft. In der Redaktion bin ich die erste Anlaufstelle für die Leser. Sie glauben wohl, der Beschwerdestelle, die am einfachsten zu erreichen ist, könnten sie sagen, was immer sie denken. Bevor ich mir solche E-Mails zu Gemüte führe, muss ich erst einmal tief durchatmen. Dann schreibe ich ruhig meine Antwort. Nachdem ich Stellung zu der Kritik bezogen habe, beende ich meine Antwort mit den Worten: „Man muss niemanden verletzen, nur um seine Meinung auszudrücken.“ Soweit ich das mitbekomme, sind sie überrascht, dass ich nicht mit verletzenden Worten meinerseits reagiere. Meistens entschuldigen sie sich dann sogar. Das verschafft mir Genugtuung.

Natürlich schreiben nicht alle Leser verletzende Kommentare. Die vorsichtig und höflich angebrachte Kritik überwiegt. Ohne Zweifel kann ich mich mit diesen Lesern schneller und einfacher einigen. Manche E-Mails stimmen mich schon traurig, ich setze meinen Schwerpunkt jedoch auf den Inhalt. Egal, ob die Kritik oder Anfrage per E-Mail, über die Internetseite oder ein soziales Netzwerk eingeht, ich erkenne sofort, ob sie lesenswert ist.

Wenn ich der Meinung bin, dass ein Leser im Recht ist, gebe ich die Nachricht an die entsprechende Stelle weiter. Zusätzlich prüfe ich den kritisierten Artikel. Bei ethischen Problemen wende ich mich mit meinen Anmerkungen an den Verfasser oder Verleger, und wir diskutieren das Ganze. Manchmal sind diese Gespräche schon ausreichend. In anderen Fällen entscheide ich mich dafür, das ethische Problem an die Leser weiterzugeben und es in der Zeitung zu veröffentlichen.

Das Beobachten und Veröffentlichen dieser Fehler und Ethikprobleme dient der Zeitung als Selbstkontrolle. Ich versuche auch, aus diesen Fehlern etwas Positives für den Journalismus mitzunehmen. So ist die Beschwerdestelle nicht nur eine Plattform für die Hürriyet, sondern für alle türkischen Medien; sie soll dabei helfen, die Qualität des Journalismus zu verbessern.

Wir erklären uns unseren Lesern. Wir entblößen uns vor ihnen, und sie bezeugen dies. Transparenz und Ehrlichkeit beeindrucken sie, wir wirken glaubwürdiger und zuverlässiger. Ich glaube, die Leser lernen auch etwas über den Journalismus. Ich merke das daran, dass sie uns häufig auf unsere Herausgaberichtlinien hinweisen.

Ganz besonders aber lerne ich von ihnen. Ich bin nun bereits seit 35 Jahren Journalist, lerne jedoch fast täglich etwas Neues von den Lesern. Dies liegt daran, dass die Leser der Hürriyet aufmerksam, akribisch und sachverständig sind und ihrer Zeitung treu bleiben. Ich habe zum Beispiel eine Meldung überprüft, in der aus der Fatwa (Anm. d. Red.: Rechtsauskunft einer muslimischen Autorität) des saudi-arabischen Mufti Abdul-Aziz bin Abdullah wie folgt zitiert wurde: „Im Angesicht des Hungers darf ein Mann seine Frau oder Teile dieser aufessen.“ Das überprüfte ich nach Hinweisen meiner Leser. Es handelte sich offenbar um einen Witzartikel aus Marokko. Einige Internetseiten im Libanon und Iran hielten ihn für wahr und veröffentlichten ihn, wodurch er nach England und anschließend in die Türkei gelangte.

Faruk Bildirici

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Faruk Bildirici ist Ombudsmann der größten türkischen Tageszeitung Hürriyet in Istanbul.
E-Mail: fbildirici@hurriyet.com.tr

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