Ein Fall für den Presserat

An den Fakten vorbei

von

Der Fall:

Eine Zeitung veröffentlicht online eine Reportage über ein Fest, bei dem es um die Begegnung der Einwohner eines kleinen Ortes mit Flüchtlingen ging. Dabei seien einige Flüchtlinge selbst zugegen gewesen, es seien aber auch Bilder von Flüchtlingen ausgehängt worden. Eines habe Savan gezeigt, ein 16-jähriges Mädchen aus Somalia. Der Autor schreibt über Brandmale im Gesicht des Mädchens und schildert, dass es in ihrem Land vergewaltigt, mit Benzin übergossen und angezündet worden sei. Unter den Folgen leide die junge Frau heute noch. Sie habe sich in die Obhut eines in der Gegend bekannten, namentlich genannten Arztes begeben. Von ihm sei sie nicht mit der gebotenen ärztlichen Sorgfaltsplicht behandelt worden. Der Arzt habe ihr gegen die Brandwunden Niveacreme empfohlen. Eine Leserin kritisiert die Berichterstattung. Die Somalierin werde falsch beschrieben, sie habe auch gar nicht an dem Fest teilgenommen und habe überdies in die Nennung ihres Namens und die Schilderung ihres Schicksals nicht eingewilligt. Die Leserin kritisiert auch, dass der Arzt identifizierbar sei. Die Berichterstattung sei ihm gegenüber verleumdend.

Die Redaktion:

Die Chefredaktion der Zeitung hält den beanstandeten Text für korrekt. Die Schilderung der Narben sei nicht zu kritisieren. Ob die junge Somalierin an dem geschilderten Fest teilgenommen habe, sei nicht mehr nachzuvollziehen. Sollte die Leserin in diesem Punkt recht haben, handele es sich um einen presseethisch zu beanstandenden Fehler. Die Berichterstattung über den behandelnden Arzt als anprangernd und verleumdend zu empfinden, sei eine Frage des persönlichen Standpunkts. Die Leserin habe den Arzt als „rechtschaffen, verantwortungsvoll, stets um das Wohl seiner Patienten besorgt, voller Expertise, auf Sonderwünsche Rücksicht nehmend“ beschrieben. Hier werde dem Bild des Arztes, wie er im kritisierten Text dargestellt werde, ein idealtypisches Bild entgegengesetzt.

Das Ergebnis:

Die Zeitung hat bei der Berichterstattung die in Ziffer 2 des Pressekodex gebotene journalistische Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen. Auch beachtet der Autor nicht die Persönlichkeitsrechte des Arztes nach Ziffer 8 des Pressekodex. Die Berichterstattung erweckt den Eindruck, der Autor habe mit der jungen Frau gesprochen, obwohl das nicht der Fall war. Besonders schwer wiegt, dass die im Bericht genannten Fakten zur Behandlung der Patientin nicht belegt werden. Im Zusammenhang mit der Namensnennung stellt die Berichterstattung die berufliche Integrität des Arztes fundamental infrage. Der Autor greift in die Persönlichkeitsrechte des Arztes ein, ohne dass hierfür ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Der Presserat spricht eine Missbilligung aus.

Der Kodex:

Ziffer 2 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Edda Eick

Autorin

Edda Eick ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon (030) 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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