Presserat

Bild mit Leiche und Krücken

von

aus drehscheibe 03/20

Der Fall 

Die Online-Ausgabe einer Großstadtzeitung informiert unter der Überschrift „Todes-Drama im Stau! Lkw überrollt Frau an Krücken“ über einen tödlichen Verkehrsunfall. Eine Frau, die mit Krücken unterwegs war, habe eine Straße überqueren wollen und sei dabei von einem gerade anfahrenden Lkw überfahren worden. Der Bericht wird durch Fotos ergänzt, auf denen die Gehhilfen der Frau zu sehen sind. Eine davon steckt im Kühler des Lkw. Ein weiteres Bild zeigt die in eine Unfallplane gehüllte Leiche. Die Polizei habe bis zum Abend keine Angehörigen benachrichtigen können, heißt es in dem Artikel. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass die Frau anhand der roten Krücken zumindest für Verwandte und Bekannte identifizierbar gewesen sei, bevor diese überhaupt hätten informiert werden können. Die Darstellung des Opfers in der Leichenplane sei herabwürdigend.

Die Redaktion 

Die Chefredakteurin widerspricht der Beschwerde. Keine der am Unfall beteiligten Personen sei durch die Berichterstattung identifizierbar. Das Argument des Beschwerdeführers, man könne die verunglückte Frau anhand ihrer Krücke erkennen, sei absurd. Bei der Berichterstattung handele es sich um eine sachliche, nachrichtliche und chronologische Darstellung des Geschehens, mit der die Zeitung auf die drohenden Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam machen wollte. Der Beitrag sei weder unangemessen sensationell noch werde das Opfer herabgewürdigt.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss erkennt in dem Beitrag eine unangemessen sensationelle Darstellung im Sinne der Ziffer 11 des Pressekodex. Er spricht einen Hinweis aus. Durch die Veröffentlichung des Fotos, das die in eine Plane gehüllte Leiche des Unfallopfers zeigt, werden die Gefühle der Hinterbliebenen verletzt. Aus Rücksicht auf diese hätte nach Richtlinie 11.3 des Pressekodex auf die Veröffentlichung des Fotos verzichtet werden müssen. Einen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz und die Menschenwürde des Unfallopfers sieht der Presserat nicht, da die Getötete allein durch die roten Krücken weder identifizierbar ist noch anderweitig herabgewürdigt wird.

Kodex

Ziffer 11 – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Ziffer 11.3 – Unglücksfälle und Katas­trophen – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

 

Vivian Upmann

Sonja Volkmann-Schluck

ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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