Presserat

Das Wunderspray

von

aus drehscheibe 06/20

Der Fall 

Ein regionales Online-Portal ­berichtet Anfang Februar über ein neues Immun-Spray einer örtlichen Forschungs­gesellschaft. „Kann dieses Immun-Spray das Corona-Virus stoppen?“, fragt die Redaktion in der Überschrift und zeigt ein großes Foto des Präparats. Ein Leser beschwert sich beim Presserat: Hier werde Werbung als ­Information getarnt, außerdem werde die Angst vor ­Corona genutzt, um Profit zu ­machen. Zu dem Zeitpunkt hat das Virus ­gerade die Region erreicht, zwei Fälle sind im Landkreis bekannt. Da das Spray 80 Prozent aller Viren abtöten würde, könnte es auch vor Corona schützen, heißt es in dem Artikel. Der Leiter der ­Forschungsgesellschaft kommt zu Wort und erklärt, dass das Präparat ­eigentlich für Grippe-Viren entwickelt wurde, aber der Ausbreitung des Corona-Virus ebenfalls ­Einhalt gebieten könnte. Es sei ab sofort in einigen Apotheken in der Region erhältlich.

Die Redaktion 

Der Chefredakteur ­erklärt, der Artikel sei auf den Nachrichtenportalen der Redaktionen nur für drei Stunden online ­gewesen. Eine Reporterin habe nach ­Auftreten des Corona-Virus in ihrem ­Verbreitungsgebiet die Aufgabe gehabt, mit der Forschungs­gesellschaft ein Interview zu führen. Weil es sich bei der Gesellschaft um einen eingetragenen Verein und beim Interviewten um einen Immunologen gehandelt habe, seien dessen Aussagen leider nicht hinterfragt und als korrekt angenommen worden. Nachdem er auf den Artikel aufmerksam geworden sei, habe der Chefredakteur ihn sofort löschen lassen. Es liege der Redaktion fern, Leserinnen und Lesern Werbung über einen nicht gekennzeichneten redaktionellen Artikel zu „verkaufen“.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss erkennt in dem Artikel einen Verstoß gegen die in Ziffer 7 des Pressekodex geforderte klare Trennung von Werbung und Redaktion sowie gegen die in Ziffer 14 des Pressekodex formulierten Standards zur Medizinberichterstattung. Er spricht eine Missbilligung aus. Die Redaktion hat dem Interviewpartner umfassend Gelegenheit gegeben, für sein eigenes Immunspray zu werben, insbesondere für eine mögliche Wirksamkeit gegenüber einem neuartigen Virus, das zum Zeitpunkt der Berichterstattung weltweit öffentliche Aufmerksamkeit erregte und im Verbreitungsgebiet des Online-Portals erstmalig in Deutschland auftrat. Der Presserat sieht in der undifferenzierten Produktdarstellung ohne journalistische Einordnung einen deutlichen Verstoß gegen den Trennungsgrundsatz der Ziffer 7 des Pressekodex, wonach Verleger und Redakteure die Beeinflussung von ­redaktionellen Veröffentlichungen etwa durch geschäftliche Interessen Dritter abwehren. Im Ergebnis überschreitet der Artikel die Grenze zur Schleichwerbung.

Kodex

Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion

Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Ziffer 14 – Medizin-Berichterstattung

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.

 

Vivian Upmann

Sonja Volkmann-Schluck

ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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