Presserat

Fingerzeig auf den Täter

von

aus drehscheibe 08/2022

Der Fall:

Eine Regionalzeitung berichtet über den Prozess gegen einen Mann aus dem Verbreitungsgebiet. Er steht unter dem Vorwurf, seine Stieftochter missbraucht zu haben. Der Beitrag zeigt eine Abbildung des Mannes, die im Gerichtssaal aufgenommen wurde. Sein Gesicht ist zwar teilweise verpixelt, doch eine Leserin der Zeitung kritisiert die Veröffentlichung: Bild und Text ließen sofort auf die Identität des Angeklagten schließen, und in Folge der Veröffentlichung sei das durch die Taten traumatisierte Mädchen in der Schule gemobbt worden. Aufgrund der starken psychischen Belastung müsse das Opfer nun eine Therapie machen und mit ihrer Mutter wahrscheinlich an einen anderen Ort ziehen

Die Redaktion:

Der Chefredakteur rechtfertigt die Veröffentlichung: Es handele sich um eine nicht identifizierende, wahrheits­gemäße Berichterstattung aus einer öffentlichen Gerichtsverhandlung. Es treffe nicht zu, dass Bild und Text auf das betroffene Mädchen schließen ließen, der Angeklagte sei ausreichend anonymisiert worden. Für einige wenige Leserinnen und Leser, die die familiären Hintergründe ohnehin kennen würden, vermittle der Artikel nichts Neues. Die Chefredaktion bezweifelt, dass die Berichterstattung Ursache für das behauptete Mobbing des Mädchens gewesen sein könnte. Die Redaktion achte penibel auf die Wahrung der Persönlichkeit. Dies gelte vor allem für Miss-brauchsopfer im Kindesalter.

Das Ergebnis:

Die Veröffentlichung verletzt nach einstimmiger Meinung des Beschwerdeausschusses die Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) in Verbindung mit Richtlinie 8.2 (Opferschutz) des Presse-kodex. Das Gremium spricht eine öffentliche Rüge aus. Die Anonymisierung des Fotos ist unzureichend und damit unwirksam: Der angeklagte Stiefvater wird über seine Physio­gnomie, den Bart und Kleidungsdetails für sein soziales Umfeld erkennbar. Hinzu kommt, dass die Redaktion Details über seine Lebenssituation wie Familienstand, Beruf und Umzug nennt, die eine Identifizierung erleichtern. Diese können eine stigmatisierende Wirkung für das Kind entfalten. Nach Richtlinie 8.2 ist die Identität von Opfern zu schützen. Besonders schutzbedürftig sind nach Richtlinie 8.3 Opfer im Kindesalter.

Der Kodex:

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist sein Verhalten von öffentlichem Interesse, kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Richtlinie 8.2 – Opferschutz

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tat­hergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben.

Richtlinie 8.3 - Kinder und Jugendliche

In der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr in der Regel nicht identifizierbar sein.

 

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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