Presserat

Harter Kommentar statt softer Themen

von

aus drehscheibe 11/19

Der Fall 

Eine Lokalzeitung veröffentlicht einen Kommentar unter der Überschrift „Pressefreiheit mit Füßen getreten“. Der Autor kritisiert einen Abgeordneten der Stadtverordnetenversammlung. Der hatte öffentlich den Magistrat aufgefordert, auf die Pressevertreter einzuwirken, künftig bis zum Ende der Ratssitzungen zu bleiben und nicht früher zu gehen. Der Autor fühlt sich an den Fall Dresden erinnert, wo ein Teilnehmer der Pegida-Demonstration, der später als „Hutbürger“ bezeichnet wurde, die Polizei dazu gebracht hatte, ein Fernsehteam eine Dreiviertelstunde festzuhalten und an seiner Arbeit zu hindern. Im aktuellen Fall des Abgeordneten begreife ein gewählter Volksvertreter den Sinn der Pressefreiheit nicht. Zur Pressefreiheit gehöre, zu entscheiden, welche Themen wichtig seien und welche vernachlässigbar. Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass in dem Kommentar eine Behinderung der Presse wie in Dresden mit einer Bitte um Berichterstattung gleichgesetzt werde. Hier werde ein falscher Eindruck erzeugt, mit dem der Abgeordnete in seiner Ehre verletzt werde.

Die Redaktion

Der Redaktionsleiter ist Autor des kritisierten Kommentars, der eindeutig als solcher gekennzeichnet ist. Hintergrund sei, dass er eine Ratssitzung nach Abschluss der offiziellen Tagesordnung verlassen habe, um sich den Punkt „Verschiedenes/Anregungen“ zu ersparen. Diesen nutzten die Stadtverordneten erfahrungsgemäß gern, um überfüllte Mülleimer und kaputte Straßenlampen zu kritisieren oder Veranstaltungen anzukündigen. Er sehe seine Aufgabe als Journalist nicht darin, Chronist einer Stadtverordnetenversammlung zu sein. Vielmehr wolle er Schwerpunkte setzen und für den Leser Wichtiges von Unwichtigem trennen. Den Aufruf des Stadtverordneten, „auf die Presse einzuwirken“, sehe er nach wie vor als Angriff auf die Pressefreiheit an. Vor der Veröffentlichung seines Kommentars habe er versucht, mit dem Stadtverordneten Kontakt aufzunehmen, um ein eventuelles Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Von diesem Angebot habe der Lokalpolitiker jedoch nicht Gebrauch gemacht.

Das Ergebnis

Der Beschwerdeausschuss erkennt keine Verletzung des Pressekodex. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Mitglieder sind zwar der Auffassung, dass der vom Autor des Beitrags gewählte Dresden-Vergleich im Hinblick auf den Sachverhalt unpassend ist. Da es sich bei der Veröffentlichung jedoch um einen Kommentar handelt, ist die darin geäußerte Ansicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt und presseethisch nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Kodex oder eine ehrverletzende Darstellung nach Ziffer 9 liegt daher nicht vor.

Kodex

Ziffer 2 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbol­fotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Ziffer 9 – Schutz der Ehre

Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

 

 

 

Vivian Upmann

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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