Ein Fall für den Presserat

Im Rausch der Übertreibung

von

Der Fall:

Eine Regionalzeitung berichtet unter den Überschriften „Saufen, bis der Notarzt kommt“ und „Wilde Sauf-Party im Jugendzentrum“ über eine Party in einem Jugendtreff. Mehrere Jugendliche waren betrunken und mussten vom Notarzt abgeholt werden. Zwei Fälle – von einem 13-Jährigen und einem 18-Jährigen – werden genauer geschildert. In einem der Berichte schreibt die Zeitung, der Jugendtreff sei schon früher durch Drogen- und Alkoholpartys aufgefallen. Ein Leser beschwert sich beim Presserat und kritisiert, dass die Leitung des Jugendtreffs zu den Vorgängen nicht gehört worden sei. Die geschilderten Fälle hätten sich im Nachhinein relativiert. Einer der Jugendlichen habe seine Aussage, er habe den Alkohol im Jugendzentrum bekommen, zurückgenommen. Der andere sei von einer anderen Party, wo er getrunken habe, in den Jugendtreff gekommen. Die Formulierung „Drogenpartys“ sei eine Verleumdung.

Die Redaktion:

Die Chefredaktion beruft sich auf den Polizeibericht. Daraus gehe eindeutig hervor, dass die Jugendlichen in dem Treff Alkohol getrunken hätten. Die Zeitung müsse sich auf den Polizeibericht verlassen können. Schließlich sei der Treff bei der Polizei als Ort für Drogenkonsum bekannt. Vor einem Jahr habe die Polizei drei Jugendliche beim Kiffen erwischt, die sich auf einer Party im Jugendtreff aufgehalten hätten. Von einer Verleumdung könne also keine Rede sein. Zum Vorwurf, die Zeitung habe nicht bei der Leitung des Treffs nachgefragt, stellt die Chefredaktion fest, dass diese seit geraumer Zeit jeglichen Kontakt zur Redaktion verweigere. Ein Redakteur habe im Jugendtreff angerufen. Als er seinen Namen genannt habe, sei der Hörer aufgelegt worden.

Das Ergebnis:

Der Presserat sieht eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht (Ziffer 2) und spricht einen Hinweis aus. Die Tatsache, dass vor einem Jahr drei Jugendliche auf dem Gelände des Jugendtreffs beim Konsum einer Marihuana-Tabak-Mischung von der Polizei erwischt wurden, rechtfertigt nicht den Begriff „Drogenpartys“. Mit diesem Begriff verbinden die Leser eine Party, bei der es zu erheblichem Drogenkonsum gekommen ist. Den Beleg dafür ist die Zeitung schuldig geblieben. Der Presserat kritisiert nicht die Passagen, in denen es um den Alkoholkonsum geht. Die Zeitung konnte überzeugend vermitteln, dass es sich hier um die Wiedergabe der Aussagen der Polizei handelt. Auf diese seriöse Quelle kann sich die Redaktion bei der Berichterstattung verlassen. Was schließlich den Vorwurf angeht, die Zeitung habe nicht recherchiert, sieht der Presserat keinen Anlass, an der Aussage der Redaktion über die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Jugendtreff-Leitung zu zweifeln.

Der Kodex:

Ziffer 2  –  Sorgfalt

Recherche ist ein unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Edda Eick

Autorin

Edda Eick ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon 030 – 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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