Ein Fall für den Presserat

Klick für Klick bis zum Tod

von

Der Fall:

Eine regionale Tageszeitung berichtet in der Online-Ausgabe ausführlich über das Schicksal eines jungen Nepalesen. Der Mann hatte sich aus Protest gegen die Politik Chinas selbst angezündet. Die Überschrift lautet: „Tibeter zündet sich an“. Zum Beitrag gehört eine Fotostrecke mit 19 Bildern. Das Titelbild zeigt den brennenden, schreienden Mann. Der Bildtext lautet: „Versuchte Selbstverbrennung: Ein Tibeter hat sich mit einer Flüssigkeit übergossen und dann selbst angezündet.“ Ein weiteres Bild zeigt ihn brennend von hinten, hier titelt die Zeitung: „50 Meter rannte der Mann bei einer Protest­aktion über eine Straße.“ Ein Leser wendet sich an den Presserat. Er kritisiert, die Fotostrecke zeige den kompletten Lauf des brennenden Menschen bis zu seinem Sturz. Auf den Fotos seien schwerste Verbrennungen zu sehen. Die Haut löse sich in Fetzen. Das rohe Fleisch werde sichtbar. Allein aus Gründen des Jugendschutzes sei es mehr als fragwürdig, diese Bilder zu zeigen. Der Leser ist der Meinung, dass die Zeitung mit der Fotostrecke menschliches Leid ausschlachte. Dies sei nicht mit der Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex vereinbar.

Die Redaktion:

Die Zeitung hält die Kritik für unbegründet und argumentiert mit der Wächterfunktion der Medien. Es sei wichtigste Aufgabe der Presse, auf Missstände in sozialen, politischen und gesellschaftlichen Systemen hinzuweisen. Ein tibetischer Aktivist habe sich aus Protest gegen die Unterdrückung der Tibeter durch das chinesische Regime selbst in Flammen gesetzt. Hintergrund sei der Besuch des chinesischen Präsidenten. Die Zeitung sei bei der Berichterstattung ihrer Rolle als Informationsvermittler gerecht geworden. Sicherlich sei das Thema Selbstverbrennung schockierend. Der Mann werde jedoch nicht zum Objekt herabgewürdigt. Er sei in diesem Fall selbst Handelnder. Und ihm werde durch die drastische Darstellung seiner Aktion genau die Aufmerksamkeit zuteil, für die es ihm wert gewesen sei, sogar zu sterben. Die Fotos seien zudem nicht auf der Startseite der Online-Ausgabe zu sehen gewesen. Die Leser konnten sie erst über mehrere Klicks erreichen.

Das Ergebnis:

Der Presserat kann sich einigen Argumenten der Zeitung anschließen, hält die Veröffentlichung jedoch für presse-ethisch bedenklich. Selbstverständlich sei eine Selbstverbrennung ein bewusster Akt eines verzweifelten Menschen. Eine solche politische Aktion kann und darf auch dokumentiert werden. Dennoch gibt es keine Notwendigkeit, in einer ganzen Bildergalerie zu dokumentieren, wie ein Mensch stirbt. Das Durchklicken der Fotos ermöglicht es dem Leser, dem Mann beim Sterben zuzusehen. Hier überschreitet die Zeitung die Grenze zur  Sensationsberichterstattung, die in Ziffer 11 des Pressekodex festgeschrieben ist. Das Leid des Menschen wird in unangemessen sensationeller Art und Weise in allen Details gezeigt. Dies wäre für eine kritische Hintergrundberichterstattung wie auch für das Interesse der Öffentlichkeit nicht notwendig gewesen. Der Presserat entscheidet sich daher für eine scharfe Sanktion und spricht eine Missbilligung aus.

Der Kodex:

Ziffer 11 – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Edda Eick

Autorin

Edda Kremer ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon 030 – 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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