Ein Fall für den Presserat

Zu viel über den Verräter verraten

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Alte Brauchtümer werden in manchen Gegenden zuweilen noch sehr ernst genommen. In der Berichterstattung ist Sorgfalt gefragt – auch wenn es um ein Maibaum-Spektakel geht? Von Oliver Schlappat

Der Fall:

„Der Maibaumkonflikt eskaliert“, titelt eine Regionalzeitung und berichtet über einen Zwischenfall in Zusammenhang mit einem alten Brauch. Kurz vor dem 1. Mai stiehlt eine Gruppe aus einer Gemeinde den Maibaum eines anderen Vereins und fordert für die Herausgabe „Lösegeld“ in Form von Brotzeit und Bier. Die Besonderheit dieses Falls: Die Bestohlenen, so der Bericht, hätten Wind vom Lagerplatz bekommen und sich den Baum regelwidrig zurückgeholt. Eine gemeinsame Feier der beiden Gruppen, obwohl vorgesehen, habe es nicht mehr gegeben, denn zunächst seien sich die beiden Gruppen zwar über das „Lösegeld“ einig gewesen, am Ende hätten die Bestohlenen aber nicht gezahlt. Später habe es geheißen, einer der Bestohlenen müsse den Proviant für die Feier bezahlen, zumal er den Standort des Maibaums an die späteren Diebe verraten habe – die Zeitung nennt dabei seinen vollen Namen. Ein Leser beschwert sich darüber. Der Betroffene werde in der Berichterstattung darüber hinaus als „Verräter“ dargestellt.

Die Redaktion:

Die Rechtsabteilung der Zeitung betont, dass es sich um einen in ländlichen Gebieten noch weit verbreiteten Brauch handele. Über die Verpflichtung zu sogenannten Auslösungen des gestohlenen Baums und deren Art und Höhe werde oft gestritten. Ein solcher Streit bilde in diesem Fall den Hintergrund der Auseinandersetzung der beiden Gruppen. Die Nennung des Gerüchts, der namentlich genannte Mann habe den Standort des Maibaums verraten, solle dem Leser den Grund des Hinundhers der „Lösegeld“-Verhandlungen plastisch schildern. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, ihn zu diskreditieren. Nach Aussage der Maibaumdiebe habe der Verrat des Verstecks genau so stattgefunden. Die Redaktion habe dem Mann darüber hinaus angeboten, er könne die Angelegenheit jederzeit aus seiner Sicht schildern.

Das Ergebnis:

Die Zeitung hat aus Sicht des Presserats gegen den Pressekodex verstoßen. Die Nennung des Namens war nicht gerechtfertigt, da kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorlag, das die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen überlagert hätte. Damit wurde die Ziffer 8 des Pressekodex verletzt. Hinzu kommt, dass auf Basis einer einzigen Quelle berichtet wurde, der Betroffene habe den Standort des Maibaums verraten. Im lokalen Bereich wird er durch die Nennung seines Namens in Verbindung mit dieser nicht belegten Vermutung diskreditiert, was mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht vereinbar ist. Die Zeitung hätte zusätzliche Quellen befragen müssen. Der Presserat spricht eine Missbilligung aus.

Der Kodex:

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung.
Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Oliver Schlappat

Autor

Oliver Schlappat ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Presserat.
Telefon 030 – 36 70 07-13
E-Mail: schlappat@presserat.de

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