Meinungsfreiheit

Dinge beim Namen nennen

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Es gibt presserechtliche Auseinandersetzungen, bei denen man sich die Frage stellt, warum sie erst vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zutreffend entschieden werden. Der nachfolgende Fall gehört sicherlich in diese Kategorie. Ein Rechtsanwalt hatte auf der Homepage seiner Kanzlei einen Text mit der Überschrift „Die schleichende Revolution der Kosmokraten“ veröffentlicht. Darin stellte er die These auf, dass es bis heute „zumeist die superreichen Familien Englands, Frankreichs und Hollands – größtenteils khasarische, also nicht-semitische Juden“ seien, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmten. In einem weiteren Beitrag vertrat er die Auffassung, das Grundgesetz habe einen „transitorischen Charakter“ und sei lediglich ein ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte.

Mit diesen Behauptungen setzte sich ein Rechtsanwalt im Internet kritisch auseinander. Sein Kollege liefere „einen seiner typischen, rechtsextremen originellen Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei“, schrieb er. Wer meine, „die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen“, müsse es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden.

Der so Kritisierte ließ sich nicht lange bitten und klagte auf Unterlassung dieser Äußerungen – zunächst mit Erfolg. Denn das Landgericht (LG) Würzburg und das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg gaben dem Kläger Recht. Das Oberlandesgericht ordnete die Äußerungen des Rechtsanwalts über seinen Kollegen zwar als Meinungsäußerungen ein, sah in ihnen jedoch eine unzulässige Schmähkritik. Diese Entscheidung hatte vor dem Bundesverfassungsgericht aber keinen Bestand. Was hatte das OLG übersehen?

Natürlich bestätigte das BVerfG, dass es sich bei den kritischen Formulierungen um Meinungsäußerungen handelt. Um zu klären, ob eine Äußerung eine Tatsachenbehauptung ist oder ob es sich um ein Werturteil handelt, prüfen die Gerichte, ob es möglich ist, den Inhalt der Äußerung als wahr oder unwahr zu beweisen. Falls ja, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung.

Ist diese Beweisführung hingegen nicht möglich, weil die Äußerung durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, dann liegt eine Meinungsäußerung vor.
Mit der Einordnung der Meinungsäußerungen als Schmähkritik lag das Oberlandesgericht hingegen daneben. Eine solche Kritik ist durch Unsachlichkeit gekennzeichnet und dadurch, dass nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache im Vordergrund steht, sondern die persönliche Diffamierung des Kritisierten. Der Begriff ist eng definiert und trifft gerade bei der Diskussion eines Themas, das die Öffentlichkeit wesentlich berührt, nur in Ausnahmefällen zu.

So war das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall der deutlich zum Ausdruck gebrachten Auffassung, dass alle angegriffenen Äußerungen einen Sachbezug hatten. Es verwies den Fall daher zur erneuten Entscheidung an das Landesgericht zurück und gab diesem gleich eine klare Empfehlung mit auf den Weg: Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des meinungsfreudigen Kritikers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers werde das Landesgericht zu berücksichtigen haben, dass der Unterlassungskläger allenfalls in seiner Sozialsphäre betroffen sei, die Meinungsfreiheit des Kritikers hingegen in ihrem Kern. Zudem habe der Kritisierte seine Beiträge selbst öffentlich zur Diskussion gestellt. Dann müsse zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine inhaltliche Diskussion möglich sein.

Oliver Stegmann

Autor

Dr. Oliver Stegmann ist als Rechtsanwalt in Frankfurt zugelassen und arbeitet als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Presse- und Urheberrecht sowie das Recht der Neuen Medien. Seine Promotion befasst sich mit der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse.

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