Presserecht

Mit einem Gefangenen telefoniert

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aus drehscheibe 08/20

Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes im August 2018 wurde ein Mann durch Messerstiche tödlich verletzt. Anschließend rief die rechtsextreme Szene zu Demonstrationen auf, es kam zu Ausschreitungen mit Übergriffen auf Gegendemonstranten, Polizisten, Pressevertreter und tatsächliche oder vermeintliche Migranten, was bundesweit für Empörung sorgte. „Grundlage“ für den Aufruf hatten Gerüchte gebildet, dass die mutmaßlichen Täter einen Migrationshintergrund gehabt hätten oder es sich um Geflüchtete gehandelt habe.

Vor diesem Hintergrund bestand ein großes Interesse daran, über die Tat und ihre Motive zu berichten. Einem Journalisten des ZDF-Magazins „Frontal 21“ gelang es, mit einem der mutmaßlichen Täter zu telefonieren, der sich in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Waldheim befand. Zu dem Gespräch kam es, weil ein Telefonat des Verdächtigen mit seiner Freundin genehmigt worden war. Während dieses Telefonats reichte die Freundin das Telefon an den Journalisten weiter. Dieser nutzte die Gelegenheit, mit dem mutmaßlichen Täter ein rund einstündiges Interview zu führen. Eine Genehmigung für das Telefonat hatte der Journalist nicht. In dem Telefonat beteuerte der mutmaßliche Täter seine Unschuld und bestritt, für den Tod des Mannes mitverantwortlich zu sein. Im August 2019 wurde er jedoch wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Das ungenehmigte Telefonat hatte auch für den Journalisten Konsequenzen. Gegen ihn wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet, das im März 2020 mit der Verhängung einer Geldbuße von 500 Euro rechtskräftig abgeschlossen wurde. Grundlage für die Geldbuße ist Paragraf 115, Abs. 1, Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Der Vorschrift zufolge handelt ordnungswidrig, wer sich mit einem Gefangenen, der sich in einer Vollzugsanstalt befindet, „von außen durch Worte oder Zeichen verständigt“. Als „Gefangene“ gelten auch vorläufig Festgenommene. Sinn und Zweck der Norm ist, einen geordneten Ablauf der verschiedenen Formen des Vollzugs sicherzustellen. Außerdem wird sie als notwendig erachtet, um bereits begangene Straftaten aufzuklären und zukünftige verhindern zu können. Überdies sollen so Fluchtvorbereitungen verhindert und die Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt aufrechterhalten werden.

Es handelt sich bei dem Paragrafen zwar „nur“ um eine Ordnungswidrigkeit und nicht um eine Straftat; trotzdem möchte man als Journalist den Kontakt zur Staatsanwaltschaft und die Geldbuße gerne vermeiden. Der Fall macht deutlich, dass Journalisten während ihrer Recherche keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen dürfen. Mag das Interesse an der Berichterstattung über ein Thema auch noch so groß sein – eine Rechtfertigung, dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu begehen, ist das nicht.

Etwas anderes gilt, wenn den Medien Informationen zugespielt werden, bei denen klar ist, dass sie nur durch eine Straftat erlangt worden sein können. Diese Informationen dürfen sie verwerten, sofern das Thema für die Öffentlichkeit von überragendem oder erheblichem Interesse ist. Solch einen Fall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2014 zu entscheiden. Einem Landesminister war sein privater Laptop gestohlen worden. Anschließend waren private E-Mails von diesem Laptop einer Zeitungsredaktion zugespielt worden. Aus den E-Mails ging hervor, dass sich der Minister seinen Unterhaltsverpflichtungen für seine Tochter entzog und deshalb der Staat die Leistungen zu erbringen hatte. Durften die Journalisten in diesem Fall offensichtlich rechtswidrig erlangte Informationen verwerten? Das durften sie dem BGH zufolge, weil die Informationen einen hohen Wert für die Öffentlichkeit hatten. Durch die Publikation sei ein Missstand von erheblichem Gewicht offenbart worden, und die Öffentlichkeit habe ein überragendes Interesse an dessen Aufdeckung. Demgegenüber trat das Interesse des Ministers am Schutz seines Privatlebens in den Hintergrund. Entscheidend war, dass die Redaktion die Informationen nicht selbst gestohlen hatte, sondern sie ihr zugespielt worden waren.

 

Oliver Stegmann

Oliver Stegmann

ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Mediator (DAA). Er ist Partner in der Kanzlei Esche Schümann Commichau in Hamburg. Zuvor hat er unter anderem als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet.

Telefon: 040 – 36 80 51 40
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