Recht auf ungestörte Trauer

Plötzlicher Widerruf

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Bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 kamen 21 Menschen ums Leben. Ein Fernsehteam führte drei Tage später mit dem Großvater einer Verstorbenen ein Interview. Die Frage, ob das Interview ausgestrahlt werden durfte, beschäftigte kürzlich das Landgericht (LG) Düsseldorf (Aktenzeichen 12 O 309/10, Urteil vom 27. Oktober 2010).

Nach Darstellung des Fernsehsenders war das Interview sorgfältig vorbereitet gewesen. Am Vormittag des Interviewtags sei der Großvater telefonisch informiert worden, dass ein Team vorbeigeschickt werde. In diesem Telefonat habe der Großvater mitgeteilt, dass er sehr gerne seine Trauer öffentlich machen möchte. Nach Eintreffen des Filmteams sei das Interview – zunächst ohne Kamera – ausführlich besprochen und erst anschließend aufgezeichnet worden. Nach Beendigung des Interviews sei die Mutter der Verstorbenen aufgetaucht und habe verlangt, die Aufnahmen zu löschen. Am nächsten Tag ließ der Großvater mit anwaltlichem Schreiben mitteilen, die Hinterbliebenen seien sich einig, dass es keine mediale Berichterstattung geben solle.

Damit wollte sich der Fernsehsender nicht abfinden. Seiner Auffassung nach hatte der Interviewpartner wirksam eingewilligt. Aus redaktionellen Gründen wolle man die Verstorbene im Beitrag jedoch nur gepixelt zeigen und den Namen des Großvaters nicht nennen. Der Anwalt des Großvaters schrieb daraufhin, dass sein Mandant sein Einverständnis zur Ausstrahlung, Nutzung oder Verbreitung des Interviews widerrufe und dessen Ausstrahlung ausdrücklich untersage. Die Trauer des Großvaters sei ausgenutzt worden, um das Interview zu führen. Außerdem beantragte der Anwalt vorsorglich den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung der Ausstrahlung des Interviews. Die Verfügung wurde vom LG Düsseldorf erlassen und mit oben genanntem Urteil bestätigt. Mit welcher Begründung?

Das LG nahm an, dass durch die Veröffentlichung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Großvaters verletzt würde, und zwar selbst dann, wenn nur der Wortlaut des Interviews gesendet werde, ohne dass der Großvater erkennbar sei. Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei auch das Recht auf ungestörte Trauer. Das Interview habe genau den Umgang des Großvaters mit der Trauer um den Tod seiner Enkelin zum Gegenstand und greife daher in seine Privatsphäre ein. Der Großvater könne beanspruchen, mit der Trauer für sich allein zu bleiben. Hinzu komme, dass durch die Bildaufnahmen sein Recht am eigenen Bild verletzt werde.

Und welche Rolle spielte es, dass das Interview nicht gerade überstürzt aufgenommen worden und der Großvater bis zum Erscheinen seiner Tochter offensichtlich damit einverstanden gewesen war? Dem LG zufolge nur eine untergeordnete: Es sei zwar davon auszugehen, dass der Großvater sein Einverständnis mit einer Veröffentlichung des Interviews erteilt habe. Dieses Einverständnis habe er jedoch widerrufen. Ein Widerruf sei zwar nur dann möglich, wenn die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts dies gebiete. Dies sei allerdings der Fall, wenn veränderte Umstände vorlägen, die auf einer gewandelten inneren Einstellung basierten, so dass es dem Betroffenen nicht mehr zuzumuten sei, an seiner Einwilligung festzuhalten.

Im zu entscheidenden Fall sei zu berücksichtigen, dass der Großvater sein Einverständnis erklärt habe, als die Mutter des Opfers noch nicht um das Fernsehinterview wusste. Nachdem die Mutter den Fernsehaufnahmen widersprochen hatte, durfte der Großvater „aus Rücksichtnahme gegenüber seiner Tochter und zur Vermeidung familiärer Konflikte im Zusammenhang mit dem tragischen Schicksalsschlag seine Meinung ändern und seine Einwilligung widerrufen“ – so das LG. Die Pressefreiheit habe demgegenüber zurückzustehen.

Was bedeutet das für die Praxis? Die Entscheidung des LG Düsseldorf bestätigt:  Redakteure sind nahezu machtlos, wenn Interviews in letzter Sekunde vom Interviewpartner untersagt oder nicht autorisiert werden. Dann bleibt nur, die Chronologie des gescheiterten Interviews zum Beitrag zu machen.

Oliver Stegmann

Autor

Dr. Oliver Stegmann ist als Rechtsanwalt in Frankfurt zugelassen und arbeitet als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Presse- und Urheberrecht sowie das Recht der Neuen Medien. Seine Promotion befasst sich mit der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse.

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