Storytelling Dezember 2013 Making-of

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Heureka-Momente und die U-Boot-Strategie

Wie Ulrike Nimz ihr Thema gefunden und die Form entwickelt hat. Wie sie nach Worten sucht und warum sie Reportagen aufsaugt wie ein Schwamm.

Frau Nimz, wie sind Sie an dieses ganz besondere Paar gekommen?



Wir haben eine Pressemitteilung von der Stadt bekommen, dass die Göhlers ihren 75. Hochzeitstag im Pflegeheim feiern. Wir waren eingeladen und der Chef sagte: Geh doch da mal hin. Ich habe ins Archiv geschaut und festgestellt: Wir haben es vor fünf Jahren gemacht, wir haben es vor zehn Jahren gemacht, wir haben es vor 15 Jahren gemacht – das Porträt dieses Paares. Da war klar, dass das nicht die Geschichte sein kann.

Wie haben Sie dann Ihre Geschichte gefunden – oder entwickelt?



Im Pflegeheim haben sie eine sehr schöne Feier ausgerichtet. Die Tochter und der Sohn waren da, und ich spürte einen gewissen Leidensdruck bei der Tochter. Ich habe mich gefragt: Warum fühlt sie sich so schlecht? Und dachte, das könnte die Geschichte sein.

Was sprach dafür?



Jeder weiß aus dem Bekanntenkreis, dass es eine wahnsinnig schwere Entscheidung ist, Angehörige ins Heim zu bringen. Und oft auch ein Tabu in den Familien, darüber zu sprechen. Ich wusste, ich kann nicht einfach nur den Alltag dieses Paares erzählen, das hatte ich zunächst erwogen – wie funktioniert Liebe im Heim.

Was fehlte Ihnen?



Die Zusammenhänge. Die Tochter, das schlechte Gewissen und die schlaflosen Nächte. Ein Gesamtbild präsentieren, das war das Ziel. Die Pfleger und das Heim gehörten da dazu. Es ist kein schlechtes Heim, aber die Pfleger ackern wie die Blöden. Und das liegt natürlich an der Gesetzeslage und daran, dass alles durchreglementiert ist bis ins Letzte.

Sie haben eine eigenwillige Form gewählt. Ich hätte verschränkte Ebenen erwartet. Sie erzählen eine Perspektive nach der anderen – das Paar, die Tochter, die Pfleger.



Das war eine Notlösung. Ich schreibe immer episodal. Schreibe Szenen auf und puzzle sie zusammen. Was ewig dauert und ist total nervenaufreibend, führt aber in der Regel zu besseren Übergängen. Bei diesem Text hab ich mich gequält mit den Übergängen, weil ich allen Sichtweisen Rechnung tragen wollte, da hätte ich so viel konstruieren müssen, dass ich mich für ein Nacheinander entschieden habe.

Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie alles umgeworfen haben?



Ich saß zu Hause auf dem Bett und hatte den Laptop auf dem Schoß. Es war spät. Die Recherche war längst abgeschlossen, es ging ans Aufschreiben. Das hatte ich oft hinausgezögert, noch mal einen Kaffee trinken, noch mal ins Heim gehen, gucken, vielleicht kommt noch eine stärkere Szene. Und das war der Moment, wo ich dachte: Vielleicht trenne ich das voneinander. So ein Heureka-Moment: Ich mache einfach drei Texte. Es gab Motive, die man durchziehen konnte durch alle drei Passagen, so dass eine in der anderen nachhallt. Ich wusste: Das Ding kriegst du gewuppt. Wenn die Struktur steht, ist das Aufschreiben ja einfach. Das Skelett ist immer das Schwerste. Dann kommt das Umbauen und das sprachliche Feilen.

Wie oft waren Sie im Heim?



Einige Male. Ich war bei der Feier, dann noch einmal bei der Tochter Kaffee trinken, mit ihr im Heim und zweimal alleine, als stille Beobachterin am Kaffeetisch. Da bin ich auch mit den Pflegern ins Gespräch gekommen. Ich habe später noch viel telefoniert, auch mit der Heimleitung, und mit der Tochter ausgemacht, dass sie den Text vorher lesen kann. Ich bin Satz für Satz mit ihr durchgegangen. Mir war wichtig, ihr gerecht zu werden.

Was für ein Aufwand!



Ich muss dazu sagen: Der Text ist zu einem Großteil in meiner Freizeit entstanden. Weil die Recherche eben langwierig war und sich das im Arbeitsalltag schlecht einpflegen lässt. Ich bin relativ frei hier als Reporterin, aber ich kann leider nicht für Wochen aussteigen, um einen preiswürdigen Text zu schreiben. Ich hab den auch nicht angekündigt. Die Chefs wussten, da ist was in der Mache, und sie fragten netterweise auch nicht jeden Tag nach.

Wollen Sie diese Strategie zur Nachahmung empfehlen?



Freunde und Kollegen fragen mich manchmal, wie sie in der täglichen Mühle besondere und originelle Geschichten zustande bringen sollen. Bei Tageszeitungen – unter Zeitdruck – kann es sicher eine Strategie sein, Texte nicht anzukündigen, bevor sie halbwegs fertig sind. Selber Themen suchen und sie als U-Boot laufen lassen, um sie an den Zwängen vorbeizumogeln. Und natürlich hilft es, wenn man von Leuten umgeben ist, die Vertrauen haben und auch mal Texte in die Zeitung heben, die anders sind.

Zurück ins Heim: Haben Sie sich die Szene mit dem schlafenden Paar extra für den Schluss aufgehoben?



Die Szene hatte ich schon ganz am Anfang, eine Pflegerin erzählte mir auf der Feier zum Hochzeitstag davon. Ich habe überlegt, ob ich damit einsteige. Es ist ein sehr starkes Bild. Dann war aber relativ schnell klar, dass ich es an den Schluss setze.

Sie hätten auch drei Zeilen früher aus dem Text aussteigen können, mit Ihrem Fazit: „Darum geht es in dieser Geschichte: um Liebe und das Nichtkönnen.“



Hab ich auch überlegt. Wäre mir aber zu pathetisch gewesen für den Schluss. Wenn eine Geschichte mit dem Resümee des Autors endet, erinnert mich das immer an Märchen.

Wie finden Sie Ihre Tonalität?



Schwer zu sagen. Ich tendiere dazu, so nüchtern wie möglich zu schreiben, gerade wenn das Thema so emotional ist. Eigentlich hab ich es lieber schroff. Ich versuche so zu schreiben, dass ich selbst davon nicht abgenervt wäre. Die Sprache sollte also möglichst unaufdringlich sein. Oder überraschend.

„Herr Göhler schaut die Erdbeere an wie einen seltenen Stein.“ Müssen Sie über so einen Vergleich lange nachdenken?



Ja, die Assoziation ist nicht sofort da, und solche Passagen wechsele ich oft noch aus. Ich möchte möglichst genau das Gefühl reproduzieren, dass ich in einer bestimmten Situation hatte. Und da wir Zeitungsmenschen dafür ja nur Sprache haben, braucht es lebendige Vergleiche.

„Es riecht nach Obst, das jemand vergessen hat zu essen.“ Warum steht da nicht: Es riecht nach faulendem Obst?



Weil es nicht so war. Das hätte die Tochter nie zugelassen. Viele alte Leute essen ihr Obst einfach nicht, sie haben generell wenig Appetit. Gammelndes Obst hätte also als Verwahrlosung missverstanden werden können. Und dem war nicht so. Natürlich macht die Szene betroffen, und auch ich fand die Besuche im Heim unangenehm, wahrscheinlich, weil es einen daran erinnert, dass man auch mal alt wird und selber in einem Pflegeheim landen könnte. An dieser Stelle wollte ich aber eher den Prozess des Vergessens und Vergehens betonen.

 

Diese Art zu verdichten fand ich an einigen Stellen. Als es darum geht, dass Herr Göhler jetzt öfter vom Krieg erzählt, schreiben Sie: „Es ist, als würde die Vergangenheit noch einmal angreifen, während das Hier und Jetzt fahnenflüchtig wird.“



Das war relativ schnell da. Auch einer dieser Heureka-Momente. Ich dachte: Das ist ein guter Satz. Er beschreibt in einfachen Worten die sehr komplexen Mechanismen der Demenz.


Im Wintersemester sprechen Sie an der Universität Leipzig über originelle Erzählformen. Was werden Sie den Studierenden sagen?

 

Schreib nichts, was du schon tausend Mal gelesen hast. Das hab ich mir selber als Ziel gesteckt, dass man öfter mal die eingeschliffenen Mechanismen aushebelt. Dieses Schema: Szene – Fakten – Szene, das man überall gelehrt bekommt, das muss man auch mal verlassen. Hintergrundinformationen so einzubauen, dass sie nicht dastehen wie ein Block, am Ende vielleicht sogar die Form auf den Inhalt referiert, das ist schon die große Kunst. Das ist mir in diesem Text nicht an jeder Stelle gelungen. Der Abschnitt mit den Pflegern ist notwendigerweise sehr faktenlastig. Letztlich versuche ich so zu schreiben, dass ich es selber gerne lesen würde. Ich lese viel, Reportagen sauge ich auf wie ein Schwamm. Das hilft.

 

Interview: Marie Lampert

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