Presserat

Reißerische Überschrift bei Facebook

von

aus drehscheibe 10/2021

Der Fall 

Ein regionales Internetportal veröffentlicht einen Beitrag unter dem Titel „Corona-Impfstoff: Gerüchte und Behauptungen im Fakten-Check“. Darin heißt es, die Behauptung, dass der Impfstoff Frauen unfruchtbar mache, sei falsch. Auf Facebook wird der Beitrag angeteasert mit dem Foto einer Spritze und dem Text „Der Impfstoff soll Frauen unter Umständen unfruchtbar machen. Ein Professor klärt unter anderem darüber auf.“ Ein Nutzer sieht in der Berichterstattung Verstöße gegen presseethische Grundsätze. Das Portal bediene sich bewusst reißerischer Überschriften, die gewollt Fakten verdrehten und Ängste, Befürchtungen und Vorurteile erzeugten oder verstärkten. Mit einer absurden Behauptung würden bewusst Ängste vor einem Impfstoff geschürt. Im Artikel werde die Aussage zur Unfruchtbarkeit von Frauen als unzutreffend dargestellt, allerdings erst ganz am Ende. Dabei sei allgemein bekannt, dass in den sozialen Medien Überschriften und Kurzbeschreibungen die Meinung bestimmten und ein ganzer Artikel dagegen oft nicht einmal geöffnet werde.

Die Redaktion 

Der Redaktionsleiter weist den Vorwurf zurück, die Redaktion würde in dem Beitrag eine reißerische Überschrift verwenden und „gewollt Fakten verdrehen.“ Bereits in der Überschrift werde ein „Fakten-Check“ angekündigt. An keiner Stelle werde eine Falschaussage als Tatsachenbehauptung ohne Einordnung stehen gelassen. Der Artikel biete genau das, was die Überschrift verspreche: Eine Einordnung von kursierenden Gerüchten und Verschwörungstheorien. Der Redaktionsleiter vermag nicht zu erkennen, wo die Überschrift oder der Facebook-Teaser Angst schürten oder falsche Aussagen träfen.

Das Ergebnis 

Der Presserat erkennt in dem Facebook-Post einen Verstoß gegen die Ziffern 1 und 14 des Pressekodex. Er spricht eine Missbilligung aus. Der Post suggeriert, an der Aussage, der Impfstoff könne Frauen unter Umständen unfruchtbar machen, könne etwas Wahres sein. Dass eine Erklärung der Tatsachen in dem verlinkten Beitrag geliefert wird, kann die Redaktion nicht entlasten. Wie der Beschwerdeführer zutreffend schreibt, konnte sich die Redaktion angesichts des üblichen Click-Verhaltens der Nutzer nicht darauf verlassen, dass die Rezipienten diese lesen. Insoweit ist der Facebook-Post für die presseethische Beurteilung entscheidend. Er verstößt damit gegen die Ziffer 1 des Pressekodex, die die Redaktionen zur Wahrung des Ansehens der Presse und Achtung der Wahrheit verpflichtet. Er verletzt auch Ziffer 14 des Pressekodex, wonach bei der Berichterstattung über medizinische Themen eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden ist.

Kodex

Ziffer 1 – Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

Ziffer 14 – Medizin-Berichterstattung

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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