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Online First auf Schwedisch

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Nach einem Algorithmus werden die Artikel online angeordnet. (Foto: Präsentation Fredric Karén)
Nach einem Algorithmus werden die Artikel online angeordnet. (Foto: Präsentation Fredric Karén)

Mit Schreibtafel und Filzstift ist Chefredakteur Fredric Karén durch die Redaktion gezogen, um seinen Mitarbeitern die Dramatik der Lage zu verdeutlichen. Um von Millionenverlusten zu sprechen, von zu Tausenden ausbleibenden Abonnenten und von einer Zukunft ohne die Zeitung. Das war 2013. Heute, fünf Jahre später, steht das Svenska Dagbladet (SvD) besser da denn je. Die große schwedische Zeitung hat das geschafft, woran auch viele deutsche Tageszeitungen noch tüfteln: Sie hat Erfolg mit ihrem Online-Business – und das, ohne die traditionsreiche Printausgabe aufzugeben. Jetzt bestimmt die Online-Strategie, was in der Zeitung abgedruckt wird.  

Fredric Karén, Chefredakteur des Svenska Dagbladet.
Fredric Karén, Chefredakteur des Svenska Dagbladet.

Ein Konzept, das ganz offensichtlich viele Kollegen von großen Verlagen wie regionalen Zeitungshäusern neugierig macht. Erst stellte Karén sein Online-first-Prinzip bei der SXSW in Amerika vor, einer der größten und wichtigsten Ideenmessen im Technikbereich, und führte dann eine Gruppe deutscher Chefredakteure von Regionalzeitungen durch das Stockholmer Medienhaus. Heute sagt Karén: „Uns ist egal, wo die Leute uns lesen – auf dem Handy, dem Computer oder im Print. Es geht immer nur darum, dass die Leute uns lesen und dass die Marke weiterhin existiert.“

Alles auf Anfang

Im Jahr 2011 habe die Zeitung einen massiven Rückgang in der Print­auflage gespürt, der Anzeigenverkauf sei zurückgegangen und das habe dazu geführt, dass der Newsroom verkleinert werden musste. „Es wurde Realität, dass sich etwas ändern muss, denn die Leser schienen irgendwo anders hinzugehen.“ Doch erst im Jahr 2013 habe sich dann spürbar etwas getan. Daran erinnert sich Karén, der 2013 Chefredakteur des SvD wurde, genau: „Das war eine sehr, sehr harte Zeit. Wir haben rund zwei Millionen Euro Verlust gemacht – in nur einem Quartal. Da war klar: Wenn wir jetzt nichts Radikales machen, dann werden wir in zwei Jahren weg sein.“

Fortan konzentrierte sich die Redaktion vor allem auf den Online-Auftritt. „Wir wollten den Leuten eine sehr, sehr gute und übersichtliche Website geben – mit ständig aktualisierten Nachrichten, Analysen und Hintergrund. Und aus dieser Seite machen wir die Zeitung, die all das enthält“, erklärt Karén. „Wir haben also zwei Kanäle mit denselben Inhalten, weil es zwei verschiedene Abonnenten sind: Manche lesen die Nachrichten online und manche in der Zeitung.“

Neue Strategie, neueste Technik 

Im Jahr 2015 entschied sich der Verlag Schibsted (zu dem das Svenska Dagbladet gehört) dazu, ein eigenes Redaktionssystem für Online und Print zu entwickeln und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Rund 100 Millionen Euro lies sich Schibsted die Technik kosten. „Weil wir davon ausgehen, dass die Zeitungszukunft datenorientierter sein wird, konzen­triert sich das System auf Algorithmen“, sagt Karén. „Wir gingen dazu über, dass Redakteure nicht mehr Artikel manuell online stellen, sondern dass das automatisch passiert.“

Ein Punktesystem für Artikel 

Journalisten sollten sich eher wieder darauf konzentrieren, gute Storys zu schreiben, die besten Überschriften zu formulieren und passende Bilder zu finden. „Sie sollten sich nicht damit aufhalten, Artikel auf der Website je nach Relevanz zu verschieben. Das kann die Technik längst“, sagt Karén, der diese näher beschreibt: Der Algorithmus funktioniere nur, weil jeder Redakteur seinen Texten zuvor Punkte gibt. Dabei gehe es um zwei Faktoren, die die Wichtigkeit des Artikels kalkulieren: den Nachrichtenwert des Artikels und die Zeitangabe.„Jeder Redakteur soll in einem Punktesystem von eins bis fünf einschätzen, wie relevant der Artikel ist und wie lange sein Artikel eine Rolle spielen könnte.“ Karén nennt als Beispiel den Terroranschlag im April 2017 in Stockholm, als ein Attentäter mit einem Lastwagen durch eine Fußgängerzone gefahren ist und dabei  fünf Menschen getötet hat. So ein Artikel bekomme die Wertung fünf – sei also von großer Bedeutung – und stehe vermutlich mehrere Tage weit oben auf der Internetseite. Ein kurzer Text über einen Autounfall ohne Verletzte sei eine Eins oder Zwei und stehe nur kurz auf der Webseite. Die besten Artikel würden dann in eine Printzeitung gepackt.

Das Svenska Dagbladet. (Foto: Präsentation Fredric Karén)
Das Svenska Dagbladet. (Foto: Präsentation Fredric Karén)

Personalisierte Nachrichten 

Hinzu komme das persönliche Interesse eines jeden Abonnenten, das anhand seines Leseverhaltens aufgezeichnet werde und wonach die Artikel in unterschiedlicher Reihenfolge auf der Seite angezeigt werden. Das komplette Online-Angebot sei davon aber nicht betroffen. „Wir finden, dass es weiterhin Themen geben sollte, die für alle gleich relevant sein sollten – beispielsweise, wenn eine Wahl ansteht oder sich politisch etwas Entscheidendes tut. Diese Themen würden wir nie personalisieren.“ Stehen also den ganzen Tag über etwa 50 verschiedene Artikel auf der Internetseite, seien etwa zehn davon für alle zu sehen, der Rest orientiere sich am Interesse der Leser. Ob auf diese Weise eine Filterblase erzeugt werde? Nein, ist Karén überzeugt – sofern jeder ­Journalist Wert darauf lege, alle möglichen Seiten eines Themas immer gründlich zu beleuchten, damit die Leser nicht nur Kenntnisse erlangen, die sie sowieso bereits haben (wie bei Facebook), sondern andere oder neue Sichtweisen, um sich selbst eine Meinung zu bilden.

Auswirkungen des Wandels 

Als Karén und seine Kollegen die neue Zeitung nach dem Online-first-Prinzip gelauncht haben, sei die Zahl der Printabonnenten kurzzeitig nach oben gegangen. „Die Leute waren begeistert und fanden die Zeitung besser als zuvor.“ Das habe vor allem daran gelegen, dass in den Jahren zuvor versucht wurde, durch einen Relaunch der Printausgabe die Leser ans Blatt zu binden. „Damals ging man davon aus, dass die Leute online kurze Geschichten und im Print lange Hintergrundgeschichten lesen wollen“, erzählt Karén. „Ich würde sagen, das war völlig falsch.“ Die Leute würden das SvD vor allem wegen der News lesen wollen. „Wenn man ihnen die aber nicht gibt, sondern nur lange Hintergrundgeschichten, dann ziehen sie weiter.“

Im sechsten Jahr nach der Umstellung sagt der Chefredakteur: „Die neue Strategie brachte uns dazu, eine bessere Zeitung zu machen.“ Und das drücke sich auch in Zahlen aus: 2013 begann SvD, Online-Abos anzubieten. Die Online-Abos (9,90 Euro monatlich für Internetseite und App und 18 Euro für Internetseite, App, E-Paper, Archiv und Kreuzworträtsel-App) nutzen mittlerweile 70.000 Leser – nach Karéns Angaben werden es jährlich 25 Prozent mehr. Da die Zahl der Printabonnenten (derzeit 100.000) jährlich um sechs Prozent schrumpft, glaubt er, dass das Svenska Dagbladet in eineinhalb Jahren mehr Online-User als Zeitungsleser haben wird.

Zahlen und Fakten

  • 2013 fing das Svenska Dagbladet an, Online-Abos zu verkaufen und gleichzeitig die Website umzustrukturieren.
  • 2015 investierte der Verlag Schibsted etwa 100 Millionen Euro in ein eigenes Redaktionssystem.
  • 70.000 Online-first-Abonnenten hat das SvD heute – jährlich kommen 25 Prozent dazu.
  • 100.000 Leser haben die Zeitung als Print-Version abonniert – jährlich geht die Zahl um sechs Prozent zurück.
  • 110 Redakteure arbeiten beim SvD. Das sind etwa so viele wie 2013 – doch es sind neue Arbeitsbereiche dazugekommen wie Social-Media-Redakteure, Entwickler oder Datenjournalisten.
  • 18 Euro kostet ein Online-Abo des SvD (mit Web, App, E-Paper, Archivzugang und Kreuzwort-rätsel-App), die Hälfte kostet die abgespeckte Version davon.

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