Interview

„Persönliche Gespräche sind eine gute Basis“

von

Pascal Hesse ist Redakteur für Politik und Wirtschaft des Informer Magazine in Essen und betreibt als freier Journalist das Redaktions- und Recherchebüro für investigativen Journalismus Phesmedia. Seit Februar 2017 ist er außerdem Bundespressesprecher der Piratenpartei. Er hat aufgedeckt, dass die SPD-Abgeordnete Petra Hinz falsche Angaben zu ihrem Schul- und Studienabschluss gemacht hat. Und obendrein keine Juristin ist. Wir sprachen mit ihm über den Weg zu dieser Erkenntnis.

Wie haben Sie die Lüge im Lebenslauf von Petra Hinz aufgedeckt?

Die Information, dass Frau Hinz wohl das zweite Staatsexamen nicht besitzt, hatte mir schon vor längerer Zeit ein Informant gesteckt. Das war vor gut einem Jahr. Doch die Informationen haben noch nicht ausgereicht, um der Sache nachzugehen. Als mir dann ein offener Brief ihrer ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorlag, in dem sich über die Arbeitsverhältnisse bei Petra Hinz beschwert wurde, begann ich zu recherchieren. Es ging um Mobbing, Kontrollwahn und Co.. Über mehrere Rückfragen habe ich versucht, dem Wahrheitsgehalt des Briefes nachzugehen. Als ich Informationen zu ihr als Person gesucht habe, wurde mir gesagt, dass sie vermutlich noch nicht einmal Abitur habe. Es war nicht mehr als Hörensagen. Näheres wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Wie sind Sie dann vorgegangen?

Es ist schwierig, weil sämtliche Abgeordneten ihre Biografien an die Bundestagsverwaltung geben, die diese dann ungeprüft auf ihrer Webseite veröffentlicht. Ich meine, wenn ich 630 Artikel ungeprüft ins Netz stellen würde, hätte ich große Probleme. Aber dieses Vorgehen scheint üblich zu sein – auch bei den Landtagsverwaltungen. Und niemand stellt ernsthaft in Frage, was der Bundestag veröffentlicht, weil man davon ausgeht, dass man dem trauen kann. Es ist schließlich die bedeutsamste Institution unseres Landes. Das scheint Petra Hinz ausgenutzt zu haben.

Ich habe dann ganz unverfänglich bei ihr nachgefragt, welche Schule und welche Universität sie besucht hat. Ihre Antwort enthielt nur einen Verweis zu ihrem Lebenslauf beim Bundestag. Gespräche mit früheren Weggefährten, Vertrauten und Sozialdemokraten aus der Region erhärteten meinen Verdacht. Ich habe daraufhin deutlicher bei Petra Hinz nachgefragt und sie mit den Gerüchten sowie meinem bisherigen Stand der Recherche konfrontiert. Doch sie wollte mir immer noch nicht sagen, wo sie zur Schule gegangen ist, wo sie studiert hat und wo sie ihr Referendariat gemacht hat. Mir war zu diesem Zeitpunkt eindeutig klar: Ihr Lebenslauf ist ein reiner Fake.

Können Sie denn jetzt sicher sagen, welchen Schul- und Studienabschluss sie hat?

Wir waren stetig via E-Mail in Kontakt und ich dachte, sie würde es aufklären. Ich habe schon eine Geschichte über die reumütige Abgeordnete vor mir gesehen, etwas Menschelndes. Eine Geschichte, in der sie Reue zeigt, ihre Wählerinnen und Wähler über Jahrzehnte betrogen zu haben. Eine, in der sie endlich aufrichtig ist und versucht ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Das wäre auch etwas gewesen. Aber sie hat mir bis heute nicht konkret auf meine Fragen geantwortet und es ist noch immer nichts klar. Mein Recherchestatus ist, dass sie nur den Hauptschulabschluss gemacht hat. Mehr nicht. Und sie hat mich noch nicht eines Besseren belehrt.

Welche Folgen hatte diese Recherche?

Ich habe in diesem Rahmen viele Hinweise zu anderen Biografien von Politikern bekommen, ebenso zu Journalisten, Wirtschaftsbossen und Medizinern. Einige Minister und Abgeordnete haben seitdem ihre Lebensläufe still und heimlich geändert. Eigentlich müssten Lokaljournalisten die Abgeordneten aus den Wahlkreisen, in dem ihre Zeitung erscheint, unter die Lupe nehmen. Da gibt es sicher noch die ein oder andere Lebenslauf-Leiche im Keller. Wobei es natürlich völlig egal ist, ob jemand ‚nur’ einen Hauptschulabschluss besitzt oder promoviert hat. Das Parlament soll ja einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen.

Alle Bundestagsabgeordneten zu prüfen, schafft aber niemand allein. Es wäre eine müßige Arbeit, die sicher kein Journalist den lieben langen Tag machen möchte. Aber wenn jeder lokal recherchiert, ist es möglich, sämtliche Biografien unserer Volksvertreter auf Richtigkeit zu prüfen – in allen Parlamenten und Regierungen.

Es geht hierbei nicht darum, Politiker schlecht dastehen zu lassen, sondern um Werte wie Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit. Wer schon bei etwas so Lapidarem wie seinem Lebenslauf lügt, gaukelt seinen Wählerinnen und Wählern im Parlament sicher ebenfalls manches vor. Und das kann nicht im Sinne unserer Demokratie sein, denn es sorgt für Politikverdrossenheit.

Was empfehlen Sie bei der Recherche?

Ich glaube persönliche Gespräche sind eine gute Basis. Juristen ist es meistens sehr wichtig, wo sie studiert haben und ihr Referendariat gemacht haben. Das ist eine Sache des Prestige. Da kann es einen also stutzig machen, wenn ein Jurist nicht sagen will, wo er ausgebildet wurde. Bei vielen Politikern gibt es auch Lücken im Lebenslauf oder sehr ungenaue Angaben. Auch diese werfen Fragen auf und es ergibt Sinn, dort genauer hinzusehen. Hier merkt ein geschultes Journalistenauge sehr schnell, was Sache ist und wo kaschiert wird. Wer nichts zu verbergen hat, wird Fragen zu seiner Biographie sicher lückenlos beantworten. Wichtig ist, immer den Menschen hinter dem Politiker zu sehen. Man sollte es ihm nicht zu schwierig gestalten, sich zu offenbaren, wenn er wirklich geflunkert hat. Da waren wir uns in der Redaktion einig, mein Herausgeber, die Kollegen und ich. Am Ende sollte es immer um die Frage der Glaubwürdigkeit gehen – und nicht darum jemanden politisch wie menschlich zu zerstören. Das haben manche Medien leider im Fall Petra Hinz gemacht. Und das ist traurig.

Weiterlesen:

Artikel über offenen Brief im Informer Magazine: „Offener Brief: SPD-Abgeordnete Petra Hinz in der Kritik“

Kommentar im Informer Magazine: „Wie glaubwürdig ist Petra Hinz

Artikel im Informer Magazine: „Lebenslüge der Petra Hinz: Abitur und Examen sind erfunden

Artikel über die Lebenslauf-Lüge in Die Zeit: „Eine schrecklich nette SPD

Pascal Hesse, Informer Magazin

Pascal Hesse

Zeitung: Informer Magazine; phesMEDIA
Tel.: 0201 - 426 399 571
Mail: p.hesse@phesmedia.de
Web: Pascalhesse.de
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