Interview

„Ein Ort, der vielen egal ist“

von Josephine Macfoy

Die Justiz ist eines ihrer Schwerpunktthemen: Sabrina Winter. (Foto: Philipp Sipos)
Die Justiz ist eines ihrer Schwerpunktthemen: Sabrina Winter. (Foto: Philipp Sipos)

 

Sabrina Winter, Investigativjournalistin der Plattform FragDenStaat, erreichte beim Kölner Recherchepreis mit einem Report über den Berliner Maßregelvollzug den zweiten Platz. Im Interview berichtet sie über Hintergründe und Herausforderungen der Recherche.

Frau Winter, Sie haben den 2. Platz mit einem Stück über den Berliner Maßregelvollzug belegt. Warum sind im Bereich Justiz und Polizei investigative Recherchen wichtig?

Weil das machtvolle staatliche Bereiche sind. Menschen werden dort gefangen gehalten. Die Öffentlichkeit bekommt nur wenig Einblick. Es kann leicht zu Machtmissbrauch oder Missständen kommen. Deswegen ist investigativer Journalismus hier sinnvoll.  
Im Maßregelvollzug sind psychisch kranke Täter untergebracht. Wie lange die Gefangenschaft dauert, ist oft nicht absehbar. Der Mann, über den Sie berichten, war 27 Jahre eingesperrt.

Wie sind Sie auf die Geschichte gestoßen?

Das Thema Maßregelvollzug beschäftigt mich schon ein paar Jahre. In diesem Fall war es so, dass der Bruder des Patienten auf mich zukam. Die Familie verklagte gerade das Land Berlin. Ich habe die Geschichte geprüft und sie stellte sich als wahr heraus.

Wie sind Sie dann in die tiefergehende Recherche eingestiegen?

Die Verhandlung des Falles am Landgericht stand kurz bevor. Sie drehte sich darum, ob der Sohn der Familie im Krankenhaus des Maßregelvollzugs falsch behandelt wurde und deswegen kurz nach der Entlassung an zwei Hirntumoren starb. Ich ging zum Gerichtstermin, um mitzubekommen, was der Gutachter sagt, welche Argumente vorgebracht werden.

Sie haben dann auch zahlreiche Dokumente gesichtet. Welche waren ergiebig?

Die eine Seite der Aktrenrecherche betraf Dokumente, die die Familie vertraulich mit mir teilte. Auf der anderen Seite ging es um das Krankenhaus. Das waren Dokumente über den Maßregelvollzug und den Berliner Gesundheitssenat, die Aufsichtsbehörde. Ich habe mehrere Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. So bekam ich zum Beispiel Dokumente über die Überbelegung der Zimmer und Berichte der Besuchskommission, die alle Psychiatrien in Berlin besichtigt. Am interessantesten war die Dokumentation amtsärztlicher Kontrollen. Alle nicht vertraulichen Dokumente sind unter dem Beitrag einzusehen.

Welche Zustände zeigte die Recherche?

Es wurden diverse Mängel aufgelistet. Teils dachte ich: Wie kann ein Krankenhaus so funktionieren? Geräte waren nicht gewartet, Medikamente abgelaufen, es klebte Kot an der Wand. Ich habe das Gefühl, dass der Maßregelvollzug ein Ort ist, der großen Teilen der Gesellschaft egal ist, weil dort „die Verrückten weggesperrt“ werden. Dort kommen Missstände und Menschenrechtsverletzungen vor, Betroffene und Angehörige können sich nur schlecht wehren. Deshalb freue ich mich auch sehr über die Auszeichnung der Recherche.

Das Thema ist unangenehm für Behörden. Inwieweit stießen Sie auf Widerstände, und wie sind Sie damit umgegangen?

Es gab etwa den Hinweis darauf, dass Patienten sehr lange isoliert sind. Darüber haben wir den Gesundheitssenat befragt. Der weigerte sich zu antworten. Im Team haben wir Rücksprache gehalten und beschlossen, mit unseren Anwältinnen und Anwälten vor Gericht zu ziehen. Das hat solchen Druck aufgebaut, dass der Senat sich doch äußerte. Behörden sind ja auskunftspflichtig. Es kam heraus, dass eine Person über sechs Jahre hinweg isoliert worden war – menschenrechtlich absolut fragwürdig. Welche Chancen hat so jemand auf Heilung oder Wiedereingliederung?

Sie haben mit einer taz-Journalistin kooperiert, die der Fall auch beschäftigte. Ist das auch mit Lokalzeitungen denkbar, um investigative Kräfte zu bündeln?

Wir arbeiten immer gerne mit anderen zusammen. Man kann auf uns zukommen, um gemeinsam zu recherchieren oder unabhängig unser kostenloses Anfrage-Tool nutzen.

 

Links
Zum ausgezeichneten Beitrag geht es hier: „Das Krankenhaus des Grauens“

Winter beschäftigt sich immer wieder mit Justizthemen. So schrieb sie beispielsweise auch darüber, wie oft und wie lange Gefangene in sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ untergebracht werden oder über Rechtsextremismus in Institutionen. Alle Beiträge stehen hier.

Hier geht es zum kostenlos nutzbaren Anfrage-Tool von FragDenStaat.

Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe 13/2025 der drehscheibe.

Sabrina Winter

ist Investigativjournalistin der Plattform FragDenStaat. E-Mail: sabrina.winter@okfn.de

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