Fall Maria L.

„Man kommt unter Druck“

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Screenshot des Dossiers der Badischen Zeitung
Zur Badischen Zeitung

Der Fall der in Freiburg ermordeten Studentin Maria L. erschüttert die Republik. Als Tatverdächtiger wurde ein minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan verhaftet. Auch die Berichterstattung der Medien steht zum Teil erneut in der Kritik, insbesondere die ARD-Tagesschau. Wir sprachen mit Holger Knöferl, dem stellvertretenden Chefredakteur der Badischen Zeitung aus Freiburg.

Herr Knöferl, Ihre Zeitung berichtet sehr ausführlich über den Fall der ermordeten Studentin Maria L. Von welchen redaktionellen Maßstäben lassen Sie sich dabei leiten?

Wir halten uns an die Grundlagen, die immer gelten: Wir veröffentlichen keine Gerüchte, wenn wir aber welche mitbekommen, versuchen wir, sie zu überprüfen und die Quellen ausfindig zu machen. Wir wägen bei einer Information ab, ob daran öffentliches Interesse besteht oder nicht. Die große Herausforderung besteht darin, einerseits das Informationsbedürfnis der Menschen zu stillen und andererseits die Angst und die Sorgen nicht noch zu verstärken.

Ab wann war klar, dass Sie die Ethnie des Verdächtigen nennen würden? Stichwort Ziffer 12 des Pressekodex.

Grundsätzlich wägen wir diese Frage in jedem Einzelfall ab. Die rigide Auslegung, dass die Nationalität eines Täters in der Berichterstattung eine nachrangige Bedeutung habe, teilen wir nicht. In diesem Fall haben wir es mit einem Kapitalverbrechen zu tun, und es gab für uns keinen Zweifel, dass man die Herkunft des Täters nennen muss, zumal diese Frage ja einen enormen politischen und gesellschaftlichen Zündstoff birgt. Allerdings muss ich auch ganz ehrlich sagen: Seit dem Tag, an dem das Verbrechen bekannt wurde, war unsere größte Sorge, dass genau dieser Fall eintritt.

Was haben Sie befürchtet?

Dass sich eine extreme Ausländer- und Flüchtlingsfeindlichkeit aufbaut, dass Hetz- und Hassparolen in den sogenannten sozialen Netzwerken verbreitet werden, dass wir als Zeitung, die eine liberale Haltung in der Flüchtlingspolitik eingenommen hat, unter massiven Rechtfertigungsdruck geraten würden. Und genau das geschieht jetzt.

Von Seiten der Leserschaft? Gibt es Kritik an Ihrer Berichterstattung?

Man muss sagen, dass unsere Leserschaft und die Freiburger Stadtgesellschaft doch sehr besonnen mit dem Thema umgehen. Nichtsdestotrotz sind auf unseren digitalen Plattformen Nutzer unterwegs, die uns heftig kritisieren.

Gehen Sie auf diese Kritik ein? Wann gehen Sie darauf ein, und löschen Sie auch Kommentare?

Wir löschen so konsequent es denn geht, wenn es sich um rassistische Hass-Postings etc. handelt . Wir versuchen regelmäßig, unseren Lesern mit Erklärstücken auf unseren Plattformen zu verdeutlichen, wie wir mit Nachrichten und Informationen umgehen. Und wir pflegen unsere eignen Portale so gut es geht, was bei der Masse an Interaktion, die da über einen hereinbricht, nicht so leicht ist. Noch schwieriger wird es, wenn unsere Inhalte auf anderen Plattformen oder Foren geteilt und dort diskutiert werden. Da gibt es einfach keine Zugriffsmöglichkeit mehr.

Seit den Kölner Silvestervorfällen wird von Medienschaffenden diskutiert, wie man in solchen oder ähnlichen Fällen berichten soll. Hat diese Diskussion auch Ihre Herangehensweise verändert? Sind Sie gut auf so einen Fall eingestellt?

Dadurch, dass wir etwa über das Thema der Herkunftsnennung seit geraumer Zeit intern diskutieren, ist unsere Redaktion, was die Grundhaltung anbelangt, sehr gut aufgestellt. Aber es gibt da keine allgemeingültigen Regeln. Wir haben auch nach Bekanntwerden des Tatverdächtigen kontinuierlich hinter den Kulissen diskutiert, dann abgewogen und entschieden, wie wir mit Informationen umgehen. Als der Tatverdächtige auf der Pressekonferenz präsentiert wurde, hat die Gerüchteküche natürlich gekocht. Es ging darum, ob er auch als Täter für den zweiten Mord in der Region infrage kommt. Darüber hat sich eine heftige Diskussion entsponnen. Da kommt man als Zeitung ziemlich unter Druck, und man fragt sich, ob ein Punkt erreicht ist, an dem man auch über Gerüchte berichten muss. Aber die Redaktion hat sich in hervorragender Weise auf das journalistische Handwerk besonnen.

Es gab ja auch Vorfälle in Freiburger Clubs, wo Asylbewerber offenbar Frauen belästigt haben. Der Weckruf der Clubbetreiber fand ein überregionales Echo. Nun dieses Schwerverbrechen. Wo sehen Sie selbst die Grenze zwischen verständlicher Sorge in der Bevölkerung und hetzerischer Stimmungsmache?

Man muss die Sorgen natürlich ernstnehmen und auch einen Weg finden, diese Themen journalistisch sauber zu bearbeiten, ohne dabei auf einfache Thesen zu verfallen oder in den Populismus abzugleiten. Darin besteht die große Kunst. Ich glaube, dass dies in der Vergangenheit nicht immer gelungen ist. Natürlich muss man als Journalist auch für jemanden berichten, der der AfD nahesteht. Wenn man sich dem aus der eigenen Grundhaltung heraus verweigert – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – dann fühlen sich diese Leute ausgeschlossen. Man muss ihre Sorgen ernstnehmen. Bestimmte problematische Ansichten muss man ja nicht isoliert stehenlassen, man kann die Dinge immer noch einordnen. Aber die grassierende Angst vor „Überfremdung“ wurde bisher nicht wirklich aufgearbeitet. Da hat sich niemand herangewagt.

Warum nicht?

Teilweise haben die Kollegen in den Redaktionsstuben – und ich will uns da gar nicht ausnehmen – eine Schere im Kopf. Sie sehen das selber nicht so, und man will sich ja nicht dem Vorwurf aussetzen, man würde rechten Parolen eine Plattform bieten. Also scheut man davor zurück, vielleicht weil es auch nicht ins eigene Weltbild passt. Aber journalistisch ist das fatal. Die Sorgen sind in der Welt, die Themen sind in der Welt, und der Journalist hat darüber zu berichten.

Nun ist in diesem Fall ja auch ein Medium ins Kreuzfeuer geraten. Die Tagesschau steht in der Kritik, weil sie am Tag der Festnahme des Verdächtigen nicht darüber berichtet hat. Was halten Sie von der Kritik?

Die Kritik ist insofern berechtigt, als die Kollegen dort einer Fehleinschätzung der Situation aufgesessen sind. Zum Teil haben sie das ja auch eingeräumt. Für mich persönlich ist es akzeptabel, wenn die Tagesschau-Redaktion sagt: Ein einzelner Mordfall und ein Verdächtiger – das ist für uns noch kein Thema. Aber sie haben die mediale Reichweite des Falls nicht bedacht. Dabei war eigentlich vorhersehbar, dass es ein großes Thema wird. Den Kollegen ist ein handwerklicher Fehler unterlaufen. Sie haben das öffentliche Interesse falsch eingeschätzt. Als öffentlich-rechtlicher Sender sollte einem das nicht passieren.

Screenshot der Badischen Zeitung
Zum Worst-Of Facebook

Was folgt für Sie aus dem Fall in Freiburg?

Was uns sehr beschäftigt, ist die Wucht der öffentlichen Debatte. Wir stellen uns als Zeitung wirklich die Frage, wie wir uns positionieren sollen. Wie und wo greifen wir aktiv in die Diskussionen in den sozialen Netzwerken ein, wann werden wir dadurch selbst zum Akteur. Auch die Frage des Aufwands beschäftigt uns. Wenn wir uns in Debatten sehr klar zu Wort melden, tragen wir oft auch zur Beruhigung bei. Die flachen dann meist sehr schnell ab. Etwa wenn man zurückfragt: Können Sie Beispiele nennen, in denen Informationen unterschlagen wurden? Teilweise wehren wir uns auch und weisen Vorwürfe zurück. Aber in dieser intensiven Diskussion mit den Nutzern den richtigen Ton und das richtige Maß zu finden, ist nicht leicht und in dieser Ausprägung eine Herausforderung, die wir noch nicht kannten. Zu guter Letzt steht man alleine gegen eine gewaltige Übermacht, eine Flut, die man nicht kontrollieren kann. Die Frage ist auch, auf welches Niveau man sich einlassen soll. Wir hatten zum Beispiel auf unserer Homepage ein Best-of der schlimmsten Facebook-Kommentare, also ein Worst-of. Da stellt sich schlichtweg die Frage, wo man die Grenze zieht und wann man solche Äußerungen zur Strafverfolgung weiterleitet.

Welches Spektrum an Menschen äußert sich da so hasserfüllt?

Auffällig ist, dass es sehr viele junge Menschen sind. Volljährige bis hin ins Alter von 30 Jahren, wenn man sich mal die Profilbilder anguckt. Dass diese Wut und dieser Hass von so jungen Leuten kommt, von denen man ja annimmt, dass sie mit der Globalisierung und Digitalisierung aufgewachsen sind und vielleicht ein etwas erweitertes Weltbild haben, das ist erschreckend.

Holger Knöferl

Holger Knöferl

Stellvertretender Chefredakteur
Leiter der Heimatredaktion
Badischer Verlag GmbH & Co. KG
Lörracher Straße 3
79115 Freiburg
Mail: knoeferl@badische-zeitung.de

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