Interview

„Open Journalism bringt uns weit voran"

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Wie jedes Jahr war die drehscheibe auch dieses Mal wieder zu Gast bei der Re:publica. Am Rande der Konferenz, die vom 6. bis 8. Mai in Berlin stattfand, sprachen wir mit dem freien Journalisten Daniel Bröckerhoff. Unter dem Titel „Hast Du das schon getwittert?“ präsentierte er seine Gedanken zum Thema Open Journalism. Für ihn handelt es sich dabei um ein Modell für modernen und offenen Journalismus, das Leser und Journalist einander näher bringt, sodass beide davon profitieren.

Herr Bröckerhoff, was ist das Grundprinzip von Open Journalism?

Die Grundidee besteht darin, dass man sich seinen Lesern gegenüber öffnet. Dass man also nicht mehr wie früher in der Redaktionsstube hockt und einem dabei relativ egal ist, was die Leute da draußen denken. Nein, Open Journalism bedeutet, dass man sich überlegt, was die Leute da draußen eigentlich interessiert. Was möchten sie wissen? Was ist für sie gerade relevant? Dafür muss man tatsächlich in Kontakt treten mit ihnen und sich ihre Fragen anhören.

Aber ist das nicht auch das, was viele Lokalzeitungen längst tun: Kontakt mit Lesern aufnehmen, ins Gespräch kommen, Stellen von Leseranwälten einrichten, schauen, was die Leute interessiert?

Natürlich ist die Leserbindung eine klassische Aufgabe des Lokaljournalisten, aber bislang sind diese Beziehungen vor allem analog geführt worden. Das Internet gibt uns unglaubliche Möglichkeiten, mit noch mehr Menschen in Kontakt zu treten, mit ihnen zu diskutieren uns auszutauschen und unsere Geschichten weiter voran zu treiben. Hier hat der Lokaljournalismus, glaube ich, noch großes Entwicklungspotential, im hyperlokalen Journalismus liegt in meinen Augen die Zukunft der lokalen Presse.

Welche technischen Tools benutzen Sie?

Mein Haupttool ist Twitter, weil in diesem Netzwerk Leute unterwegs sind, die gerne viel von sich geben, die es nicht stört, wenn man viel schreibt. Hier geht alles sehr schnell, und wenn man eine zeitnahe Antwort braucht und eine gewisse kritische Grenze von Followern erreicht hat, dann geht das meistens sehr gut. Wenn ich heute über Twitter poste: „Ich suche auf der Re:publica Sascha Lobo“, dann erhalte ich innerhalb kürzester Zeit fünf Antworten von Leuten, die ihn gesichtet haben. So funktioniert das Grundprinzip.

Und Facebook?

Finde ich auch nicht unwichtig, weil es eine andere Gewichtung und Verteilung von Leuten hat. Es ist immer gut, einen Ansprechkanal für E-Mails zu haben und einen Blog, auf dem geschrieben und kommentiert werden kann.

Wie sieht das aus, wenn Sie ein Thema gefunden haben und dieses dann im Sinne des Open Journalism bearbeiten?

Ich habe im vergangenen Jahr angefangen, für ZDF Zoom eine Krankenhausreportage zu recherchieren. Dabei hatte ich von dem Thema Krankenhaus und Gesundheit überhaupt keine Ahnung. Also habe ich mir zunächst einmal Leute gesucht, die mir etwas aus der Praxis berichten können, die wissen, was in einem Krankenhaus läuft, und die mir auch Fragen beantworten, die mir ein Pressesprecher nicht sofort beantwortet. Ich habe auf meiner Facebook-Seite gefragt, wer von meinen Facebook-Freunden – das sind auch schon gut über 1000 – mir da weiterhelfen könnte. Kennt jemand jemanden, der im Krankenhaus arbeitet? Kennt jemand jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt? Auf diese Art bekam ich Kontakt zu 14 Krankenschwestern und -pflegern in ganz Deutschland. Mit diesen führte ich zunächst Hintergrundtelefonate. Die haben mir erzählt, wie es bei ihnen im Krankenhaus grundsätzlich aussieht. Interessant war, dass sich die Geschichten ähnelten, obwohl die Gesprächspartner aus Hamburg genauso wie aus aus dem tiefsten Bayern kamen. Das war der erste Schritt.

Wie gingen Sie weiter vor?

Ich gucke dann: Wer interessiert sich für das Thema? Wem kann ich zum Beispiel auf Twitter folgen, was schreiben die, komme ich mit Ihnen in Kontakt? Sind Leute in meinem Bekanntenkreis, die mir bei meinem Thema weiterhelfen können?

Die Vorteile Ihres Konzepts liegen auf der Hand: Man kommt mit Lesern ins Gespräch, man findet Themen und Protagonisten für Geschichten. Welche Gefahren verbergen sich im Open Journalism?

Grundsätzlich hat Open Journalism mehr Nutzen als Risiken. Er bringt uns Journalisten sehr weit voran. Aber selbstverständlich gibt es auch Situationen, für die ich es nicht empfehlen würde, so zu arbeiten.

Welche wären das?

Wenn es sich zum Beispiel um eine investigative Recherche handelt und man wirklich jemanden auf dem Kieker hat oder gegen einen Unternehmen recherchiert. Dann sollten die das nicht zu früh erfahren, und Quellen sollten verdeckt bleiben. Einfach, damit man vermeidet, dass sie juristische Schritte einleiten, einem einen Maulkorb verpassen und sehr genau darauf aufpassen, was sie als nächstes tun. Aber ich erwarte von jemandem, der im Sinne des Open Journalism arbeitet, dass er, wenn er dann den Artikel, den Bericht, die Dokumentation veröffentlicht hat, alle Quellen offenlegt, damit die Geschichte nachvollziehbar wird und die Leser mehr erfahren, als sie vorher schon wussten.

Birgt das nicht das Risiko, dass Recherchewege verfolgbar und Quellen gelüftet werden, die Sie vielleicht ein andern Mal wieder brauchen könnten?

Es hängt immer von der Geschichte ab. Ist sie investigativ? Muss  ich meine Quellen wirklich schützen, weil meine Gesprächspartner sonst Probleme kriegen könnten? Oder kann ich einfach sagen: Hier ist ein Großteil meines Rohmaterials, guckt es euch selbst an und schaut, was wir daraus gemacht haben. Solange in einem Hintergrundgespräch keine vertraulichen Sachen drin stehen, die der Gesprächspartner nicht veröffentlicht sehen will, kann man das doch publizieren. Jeder, der schon einmal länger und ausführlich recherchiert hat, weiß doch, dass es am Ende nur fünf bis zehn Prozent des Materials zur Veröffentlichung schaffen. Der Rest liegt unbenutzt auf dem Schreibtisch oder in unseren Köpfen herum. Warum sollen sich nicht andere daran bedienen können, wenn es sie wirklich interessiert?

Stellt dies nicht einen immensen Zeitaufwand dar?

Open Journalism kostet mehr Zeit, das stimmt, man muss seine Zeit anders einteilen. Man braucht auch Chefs, die wissen, was diese Arbeitsweise bringen kann, und einen auch fördern. Im Endeffekt braucht es mehr Manpower.

Welche Rolle könnte der Open Journalism im derzeitigen Medienwandel spielen? Wir haben eine Zeitungskrise, eine Print-Krise, und wie sich Online rechnen kann, dafür gibt es noch kein Patentrezept.

Der Guardian hat es im letzten Jahr angefangen und vorgemacht. Chefredakteur Alan Rusbridger ist der Meinung, dass Open Journalism der beste Weg ist, überhaupt eine Finanzierung hinzubekommen. Wenn man sich öffnet, wird man authentisch, man wird ansprechbar und menschlicher. Man kann auch genauer sagen, warum man das Geld benötigt und wofür, man kann transparent machen, wo es hingeht. Ich glaube, dass wir mit unseren Lesern in einen Dialog treten müssen und ihnen sagen müssen, dass das, was wir machen, Geld kostet. Es bedeutet Arbeitszeit, wir wollen von etwas leben, und wir wollen unabhängig sein. Das könnt ihr gewährleisten, in dem ihr das kauft und unterstützt, was wir herstellen. Und dafür bekommt ihr eben auch mehr, einen anderen Journalismus als früher. Eine Zeitung, die sich öffnet, bindet ihre Leser stärker an sich als eine Zeitung, der egal ist, wer sie liest.

Daniel Bröckerhoff

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