Interview

Probleme lösen mit guter Landwirtschaft

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Der Tisch ist gedeckt für moderne Landwirtschaft. (Foto: Gut und Bösel)
Der Tisch ist gedeckt für moderne Landwirtschaft. (Foto: Gut und Bösel)

Herr Bösel, Sie betreiben Ihren landwirtschaftlichen Betrieb Gut & Bösel in Alt Madlitz in Märkisch-Oderland. Ich sitze hier in Berlin, weitab von Feldern und Weiden, aber umzingelt von Bio-Läden. An welchem dieser Orte herrscht mehr Verständnis für die Nöte der Landwirtschaft?

Vor vier, fünf Jahren hätte ich in den gut ausgebildeten Großstädtern, dem viel zitierten Bio-Bürgertum, noch den großen Verbündeten gesehen. Heute merke ich aber, dass die Dringlichkeit – etwa Fragen des Klimawandels betreffend – auf dem Land viel stärker ausgeprägt ist. Gerade der Weg zurück zur Natur, zu mehr Biodiversität, wird hier viel eher verstanden.

Also haben die Bauernverbände recht, die sagen, die Städter mit ihrer verklärten Sicht aufs „Bio-Bullerbü“ würden die Landwirtschaft nicht verstehen.

Natürlich hast du in der Stadt andere Einkommensstrukturen, weshalb sich zumindest eine gewisse Klientel Bio-Lebensmittel oder den distinguierten Charme des Bauernmarktes leisten kann. Das heißt aber eben nicht, dass die Menschen auf dem Land den Wert der Landwirtschaft missverstehen. Im Gegenteil: Viele haben hier ihre eigenen Gemüsegärten oder halten noch Hühner, es gibt auf dem Land eine stärkere Verbindung zur Natur. Machen Sie als Zeitung einmal den Test: Packen Sie Gemüse, auch alte Sorten, in einen Korb und lassen Sie die Leserinnen und Leser bestimmen. Fragen Sie, wie viel Eier ein Huhn legt oder wie viel Filet an einer Sau ist – auf dem Land werden Sie mehr richtige Antworten bekommen.

Dabei erinnern viele landwirtschaftliche Betriebe heute eher an eine Serverfarm als an den Bauernhof aus Kindertagen.

Als ich den Betrieb Gut & Bösel Ende 2016 übernommen habe, dachte ich ja auch noch, dass in der Technologie die Zukunft liegt, in einer datenbasierten Landwirtschaft. Aber dann ist mir zunehmend klar geworden, dass die Technologie nur dazu führt, dass man sich immer weiter spezialisiert, immer weiter verschuldet und zunehmend seine Unabhängigkeit verliert. Von der Farm-Management-Software bis zum Mähdrescher mit der digitalen Schnittstelle – mir bringt diese ganze Technologisierung nichts, wenn der Boden und das Ökosystem so krank sind, dass man nicht langfristig hochwertige und gesunde Lebensmittel produzieren kann.

Plädieren Sie für die Bio-Landwirtschaft?

Was mich, auch und gerade als Bio-Landwirt, stört, sind die Grabenkriege zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft. Am Ende ist es egal, wie das Betriebssystem tituliert wird, entscheidend ist: Was kommt dabei raus? Wenn du ein Landwirtschaftssystem hast, das an den ökologischen Kontext angeschlossen ist, den Boden verbessert, die Tiere gut hält und den Menschen ein ordentliches Gehalt bezahlt, dann ist das gute Landwirtschaft. Egal, ob da ein Bio-Siegel draufklebt oder nicht.

Ist gute Landwirtschaft immer eine lokale Landwirtschaft?

Das absolut. Wir müssen für spezifische Regionen Landnutzungssysteme entwickeln, die die dezentrale Versorgung mit Lebensmitteln in der Region sicherstellen und gerade durch die Erzeugung von Lebensmitteln den Boden nachhaltig verbessern und nicht auslaugen. Und wir brauchen politische Leitplanken, die es ermöglichen, lokale Lebensmittel zu marktfähigen Preisen anzubieten. Für Produzenten und Konsumenten. Wäre das nicht mal eine schöne Infografik: Wohin wird die Ernte der Höfe aus der Region exportiert und woher kommen umgekehrt die bäuerlichen Erzeugnisse, die im Supermarkt liegen? Die Weizenknappheit durch den Ukraine-Krieg hat ja gezeigt, was für ein instabiles und letztlich auch menschenverachtendes System die globalisierte Landwirtschaft ist.

„Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Hebel, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.“ (Foto: Gut und Bösel)

Sind bäuerliche Betriebe noch immer ein Faktor gerade der ländlichen Identität?

Schicken Sie doch einmal einen Reporter, eine Reporterin in ein Dorf in Ihrer Region und zeigen Sie auf, wo einmal der Bäcker war, der Lebensmittelladen, der Fleischer, die Gastwirtschaft. All diese Orte sind in dem Maße verschwunden, wie die Arbeitsplätze am Ort verschwunden sind. Und Arbeitsplätze im Dorf, das waren nun mal vor allem Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft. Über diesen Strukturwandel, das Veröden ganzer Regionen und die daraus resultierenden Folgekosten wird nie geredet, wenn es um die Landwirtschaft geht.

Wie kann man die Sau, um ein Sprichwort zu bemühen, also wieder durchs Dorf treiben?

Darüber reden. Und dafür sind Zeitungen ja die beste Bühne. Wenn du mit den Menschen über die Landwirtschaft sprichst, dann hat jeder noch einen Opa, der selbst Landwirt war, oder einen Onkel, der imkert oder eine Obstwiese bewirtschaftet. Die Landwirtschaft ist eigentlich noch mittendrin in der Gesellschaft.

Viele Bauern haben das Gefühl, es wird vor allem über sie geredet.

Das kann ich oft gut verstehen. Es geht nicht darum, dass die Landwirte immer alles richtig gemacht hätten. Nur werden sie aktuell gern als alleiniger Sündenbock für eine Entwicklung hingestellt, die wir als Gesellschaft so gewollt und gewählt haben. Wir kommen alle aus einer Epoche des „immer Mehr für immer weniger“, nicht nur die bäuerlichen Betriebe.

Sie wollen gerade junge Menschen für die Landwirtschaft begeistern. Warum?

Wir erleben, Stichwort „Fridays for Future“, eine junge Generation, die einerseits voller Utopien ist und andererseits voller berechtigter existenzieller Ängste. Ihnen sage ich: Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Hebel, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen. Klimaschutz, Klimaanpassung, Biodiversität, Chancengleichheit: Das alles ist Landwirtschaft.

Interview: Clemens Niedenthal

 

+++ drehscheibeTipps +++

• Gemüse-Test: Leserinnen und Leser alte Sorten bestimmen lassen. Dazu Wissensfragen aus der Landwirtschaft.

• Infografik: Wohin gehen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus der Region? Woher kommen die gleichen Produkte im
Supermarkt?

Das Interview erschien zuerst in der drehscheibe 1/2023.

Benedikt Bösel

war Investmentbanker, bevor er 2016 den elterlichen Betrieb Gut & Bösel in Alt Madlitz übernommen hat. Für seine vor allem auf eine Verbesserung des Bodens und der Biodiversität ausgelegte Landwirtschaft hat er den Begriff „Beyond Farming“ geprägt. Im Frühjahr erscheint sein Buch „Rebellen der Erde“. Von der Fachzeitschrift agrarheute wurde er als „Landwirt des Jahres“ 2022 ausgezeichnet.
E-Mail: info@gutundboesel.org

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