„Raus, raus mit euch!“
von Josephine Macfoy
„Hass im Netz machte mich stumm", schrieb Roya Hedayati im Sommer 2025 in einem Kommentar für die Thüringer Allgemeine (Erfurt). Als Volontärin erlebte sie früh, wie es ist, online angefeindet zu werden. Doch ihre Redaktion unterstützte sie und es gelang, die Lage zu beruhigen. Ein Gespräch über Rassismus, Mut und wichtige Aufgaben des Lokaljournalismus.
Frau Hedayati, Sie sind seit Februar 2025 Volontärin der Thüringer Allgemeinen. Was hat Sie in den Lokaljournalismus geführt, und wie sahen Ihre ersten Monate in der Lokalredaktion aus?
Ich habe an der Bauhaus-Universität in Weimar Medienwissenschaften studiert und nebenbei im MDR Archiv gearbeitet. Dabei nutzte ich oft Thüringer Lokalzeitungen. Nach dem Studium bewarb mich bei Medien in der Region. Es war eine große Freude, eine Zusage von der Zeitung zu bekommen, mit deren Material ich viel gearbeitet hatte. Ich begann in der Lokalredaktion im Ilm-Kreis. Nach einigen Monaten wechselte ich dann nach Erfurt.
Sie machen im Lokalen viele schöne Erfahrungen, aber auch sehr verletzende, schreiben Sie in einem Kommentar. Leider hatten Sie bereits Rassismus und Online-Hass zu tun. Was erleben Sie als Journalistin mit Migrationsgeschichte?
Rassismus ist für mich in Thüringen leider Alltag. Es vergeht kaum ein Tag ohne einen Vorfall. Zum Beispiel war ich neulich auf dem Weg zur Arbeit. Da rief mir ein älterer Mann an der Bushaltestelle zu: „Raus! Raus mit euch!“ Diese Leute kennt man. Was mich dann als Volontärin schockierte, war, dass so viele Menschen, die Zeitung lesen, Hass-Kommentare unter meinen Beiträgen absetzten. Das ging so weit, dass meine Artikel vorübergehend nicht mehr bei Facebook geteilt wurden – zu meinem Schutz.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich fühlte mich stummgeschaltet, denn Beiträge, die geteilt werden, bekommen eine größere Reichweite. Meine Arbeit konnte ich zwar weiterhin machen, aber sie wurde viel weniger wahrgenommen. Zum Glück war der Rückhalt im Verlag sehr groß. Meine erste Chefredakteurin aus dem Ilm-Kreis rief mich an und sagte: „Du bist nicht allein, ich stehe hinter dir.“ Ich durfte mit einem eigenen Kommentar auf die Hassnachrichten antworten. Das war der erste journalistische Kommentar, den ich schrieb, und er wurde überall veröffentlicht.
Dass Volontärinnen und Volontäre Kommentare schreiben, ist relativ unüblich.
Ja, eigentlich dürfen wir nicht kommentieren. Ich bin die Einzige, die es tut, weil die Chefredaktion mir als Opfer von Online-Hass die Chance geben wollte, dagegen zu argumentieren. Mittlerweile mache ich selbst Vorschläge und frage, ob ich etwas schreiben darf, wenn ich Rassismus mitbekomme oder wenn ich denke, es ist wichtig, dass jemand mit ei- ner anderen Sicht – als Ausländerin – über ein Thema schreibt.
Woher nehmen Sie den Mut, so in die Offensive zu gehen?
Ich bin noch nie still geblieben, wenn ich zum Beispiel auf der Straße gesehen habe, dass Menschen beleidigt wurden. Ich finde es wichtig, dass wir offen darüber sprechen.
Bekommen Sie nach wie vor Hassnachrichten?
Nach meinem Beginn als Volontärin dauerte es zwei oder drei Monate, bis sich die Situation beruhigte und die Hass-Kommentare weniger wurden. Meine Artikel wurden dann auch wieder bei Facebook geteilt. Mittlerweile habe ich aufgehört, solche Kommentare zu lesen. Von Jan Hollitzer, dem Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, und von der Funke Mediengruppe bekam ich viel Unterstützung. Ich konnte mich zum Beispiel auch rechtlich beraten lassen. Vorher habe ich mich immer allein gegen Rassismus gewehrt. Die riesige Hilfe hat mich sehr gestärkt.
Sie schreiben in einem Kommentar, dass Sie sich für Offenheit und Vielfalt im Alltag und im Journalismus einsetzen. Wo steht Deutschland in dieser Hinsicht?
Bevor ich 2014 als Studentin nach Deutschland kam, war ich schon oft als Besucherin hier gewesen. Verwandte wanderten nämlich während der Islamischen Revolution 1979 in Iran hierher ein. Ich habe zwei verschiedene Sichtweisen auf das Land. Gerade den Osten Deutschlands empfinde ich als sehr familiär und herzlich. Das fällt mir als jemand aus einer orientalischen Kultur auf. Gleichzeitig ist auch der Hass gegen Ausländer größer als im Westen. Was ich insgesamt bemerke: Die Leute fühlen sich heute sicherer dabei, rassistische Dinge zu sagen – so wie der Mann, der mich einfach so an der Bushaltestelle beschimpfte.
Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass sich das Gesellschaftsklima so entwickelt hat?
Ich denke, dass die Sprache in der Politik dafür verantwortlich ist. Der Rassismus ist nicht schlimmer geworden, Menschen äußern ihn nur offener, weil sie das immer wieder auch bei Politikerinnen und Politikern mitbekommen. Sie haben keine Angst mehr vor Folgen.
Welchen Einfluss könnte der Lokaljournalismus auf diese Entwicklung haben?
Wir können etwas verändern – wenn sich die Redaktionen verändern. Ich kann nur aus meiner Erfahrung im Volontariat sprechen. Bei der Thüringer Allgemeinen bin ich die einzige Ausländerin mit dunklerer Haut, die sichtbarste. Auf der Straße treffe ich dagegen neben vielen weißen Menschen auch viele mit Migrationsgeschichte. Ich finde es nicht gut, dass Redaktionen anders aussehen als die Gesellschaft. Zumal wir gerade eine Spaltung erleben: in Menschen, die als Ausländer erkennbar sind, und die, die es nicht sind. Wir müssen einen Weg finden, die Distanz zwischeneinander zu überwinden. Das ist, glaube ich, die Aufgabe des Lokaljournalismus.
Wie könnte das gelingen?
Oft höre ich von Menschen mit ausländischen Wurzeln, dass sie sich nicht als Publikum deutscher Zeitungen fühlen. Sie denken, Zeitungen konzentrieren sich nicht auf ihre Themen. Auf den Titelseiten sehen sie vor allem weiße Menschen. Deutschland ist aber bunt. Ich wünsche mir, dass wir öfter die Normalität zeigen, die wir auf der Straße sehen. Themen wie Politik, Verkehr, Polizeimeldungen oder lokale Geschichte betreffen ja alle. Deshalb beziehe ich zum Beispiel bei Umfragen und Interviews gezielt Menschen mit ausländischem Hintergrund ein. Und ich merke auch: Wenn jemand wie ich in der Redaktion ist, fassen solche Menschen selbst den Mut, auf uns zuzugehen. Die Distanz wird kleiner.
Trotz Ihrer Erlebnisse blicken Sie positiv auf den Beruf. Was macht Ihnen Hoffnung?
Ich finde es wichtig, das Negative und das Positive zu sehen. Menschen scheuen sich zwar nicht mehr, sich rassistisch zu äußern. Gut ist aber: Auch die anderen werden lauter, sie reagieren und sie werden sichtbar. Ich bin mit 40 Jahren vielleicht die Älteste im Volontariat. Die jungen Kolleginnen und Kollegen machen mir große Hoffnung. Sie sind sehr weltoffen und es ist ein Genuss, mit ihnen zu reden. Mit so einer Zukunft bin ich stolz auf unseren Beruf.
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