Interview

„Vieles wird auf uns projiziert“

von Stefan Wirner

Felix Kalbe ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und seit 2019 Stadtratsmitglied in Gotha.
Felix Kalbe von Bündnis 90/Die Grünen. (Fotos: felixkalbe.de)

Ein Hilferuf aus Thüringen: Zwei grüne Kommunalpolitiker beklagen heftige Angriffe und Anfeindungen. Einer davon ist Felix Kalbe. Wir sprachen mit ihm über den wachsenden Hass auf Kommunalpolitiker.

Herr Kalbe, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Parteifreund Matthias Kaiser vor ein paar Wochen einen Brief an den Bundesvorstand der Grünen geschrieben, einen „Hilfeschrei“, in dem Sie heftige Anfeindungen gegen Sie als Kommunalpolitiker beklagen. Der Brief erregte bundesweit Aufsehen. Was war Ihr Beweggrund, sich an die Öffentlichkeit zu wenden?

Der Brief sollte eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit gehen. Wir haben parallel zwei Briefe geschrieben: einen an unseren Bundesvorstand, den anderen an den Thüringer Innenminister Georg Maier. Der Grund war die Situation bei uns in Thüringen. Wir sind für viele Menschen die Projektionsfläche der Kritik für das, was auf Bundesebene passiert.

Herr Kalbe, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Parteifreund Matthias Kaiser vor ein paar Wochen einen Brief an den Bundesvorstand der Grünen geschrieben, einen „Hilfeschrei“, in dem Sie heftige Anfeindungen gegen Sie als Kommunalpolitiker beklagen. Der Brief erregte bundesweit Aufsehen. Was war Ihr Beweggrund, sich an die Öffentlichkeit zu wenden?

Der Brief sollte eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit gehen. Wir haben parallel zwei Briefe geschrieben: einen an unseren Bundesvorstand, den anderen an den Thüringer Innenminister Georg Maier. Der Grund war die Situation bei uns in Thüringen. Wir sind für viele Menschen die Projektionsfläche der Kritik für das, was auf Bundesebene passiert.

Wir hatten in den vergangenen Monaten verschiedene Angriffe auf unser Büro. Ins Fensterglas wurde eingeritzt: Volksverräter, tötet euch! Bei einem Parteimitglied hat das Haus gebrannt. Da war jemand am helllichten Tag über den Zaun geklettert und hatte Mülltonnen angezündet, das Feuer griff auf die Fassade über. Dann wurde ein Kollege, ein langjähriger Kommunalpolitiker, auf offener Straße in der Mittagszeit mitten in Gotha angegriffen. Man schlug ihm auf den Brustkorb, und er wurde als grüne Drecksau beschimpft. Da kam bei uns der Punkt, wo wir gesagt haben, es kann so nicht weitergehen.

Haben Sie Hinweise darauf, dass die Angreifer, die Derartiges machen, aus Gotha selbst kommen?

Von einigen wissen wir das, zum Beispiel von dem Angreifer, der den Parteikollegen körperlich angegriffen hat. Der hat uns schon öfter mal angespuckt. Ansonsten haben wir überhaupt keine Anhaltspunkte, wer es war. Die Ermittlungsverfahren der Thüringer Polizei verlaufen im Sand. Bei Leuten, die Wahlplakate abgerissen hatten, wurde das Verfahren eingestellt, weil sie vorher nicht auffällig geworden waren.

Aufkleber am grünen Parteibüro in Gotha

Was, glauben Sie, sind die Gründe dafür, dass manche Menschen zu Gewalt gegen Kommunalpolitiker greifen?

Es ist eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik, die Angriffe geschehen ja inzwischen über alle Parteien hinweg. Und als Kommunalpolitiker ist man eben der erste Ansprechpartner vor Ort. Wir Grünen sind nicht mehr im Thüringer Landtag vertreten. Das heißt, es gibt keine Abgeordnetenbüros mehr von Landtagsabgeordneten. Wir haben nur einen Bundestagsabgeordneten in Jena. Die einzigen Grünen, die irgendwo zu fassen sind, das sind wir Kommunalpolitiker, und von denen gibt es ja auch nicht mehr so viele in Thüringen. Ich denke, dass da vieles einfach auf uns Verbliebene projiziert wird. Außerdem hat auch rechts motivierte Hetze in den vergangenen Jahren extrem zugenommen, wir Grüne sind de facto das Feindbild. Vor einigen Monaten wurde aber auch eine Stadtratskollegin von den Freien Wählern attackiert. Die Freien Wähler in Thüringen sind nicht so wie die bayerischen Freien Wähler, die sind hier eher liberal und ökologisch. Da wurde zweimal auf eine Apotheke geschossen. Aber es gibt kein Ermittlungsergebnis. Wenn keinerlei Repressionen seitens der Justiz und der Polizei erfolgen, werden sich die Täter weiterhin ermutigt fühlen.

Lokaljournalisten klagen ja über eine ähnliche Entwicklung. Warum, glauben Sie, sind gerade diese beiden Berufsgruppen – Politiker und Journalisten – in „manchen Kreisen so derart verhasst geworden?

Wir haben in Gotha faktisch zwei Zeitungen, die noch erscheinen: die Thüringer Allgemeine und die Thüringer Landeszeitung, die beide zu Funke gehören und mittlerweile auch die gleichen Artikel drucken, was ich ein bisschen schade finde. Die Personaldecke ist bei vielen lokalen Zeitungen so dünn geworden, dass der Lokalteil letztlich immer kleiner wurde. Die Thüringer Allgemeine deckt ja nicht nur Gotha ab, sondern auch den riesigen Landkreis au
ßen herum. Ich bin noch regelmäßiger Leser, weil ich ja mitkriegen muss, was bei mir in der Kommune passiert.

Dann gibt es kostenfreie Magazine, die verteilt werden und sehr viel Werbung enthalten. Und das größte, das kostenfrei ausgetragen wird, ist Blauer Mut von der AfD. Das lesen viele, und dann erzählen sie uns, dass Windräder eine absolute Katastrophe sind und viel schlimmer sind als AKWs. Wenn man ein Windrad abbaut, müsse es endgelagert wer- den in einem tiefen Loch im Boden usw. Man merkt, woher die Argumente kommen. Mit ein bisschen Menschenverstand weiß man, dass man es auch zerlegen und recyceln kann. Aber das ist das, was die Leute mitnehmen aus diesen Blättern. Und das verschärft die Spannungen.

Also wünschen Sie sich, dass der Lokaljournalismus nicht verschwindet, sondern flächendeckend vorhanden bleibt.

Ja. Und dass er Diskurse anregt, dass er Positionen abwägt und Gegenmeinungen einholt, dass er drei, vier Positionen gegeneinander abwägt, sich Fakten anguckt und Hintergrün- de aufzeigt.

Was würden Sie sich denn von der Gesellschaft wünschen in dieser Frage? Ihr Hilferuf-Brief hat es zwar in die überregionalen Nachrichten geschafft, aber insgesamt gab es nur wenige Berichte darüber. Werden solche Angriffe auf Lokaljournalistinnen und -journalisten oder Lokalpolitiker mittlerweile hingenommen, als könnte man da gar nichts mehr machen?

Ich würde mir wünschen, dass man wieder in den Diskurs kommt, dass man es schafft, sich wieder friedlich zu unterhalten und über Inhalte zu reden. Aber momentan haben wir eine massive Störung im demokratischen Miteinander. Und Störungen haben Vorrang in Gruppen. Wir müssen die Störung beheben. Bei den Gewalttaten heißt das: Wir müssen das über präventive Maßnahmen wieder auf den Diskurs zurückführen. Die Polizei müsste greifbarer sein, das wäre so eine Präventivmaßnahme. Aber ich habe die Sorge, dass wir an manchen Stellen schon Kipppunkte überschritten haben. Deswegen bräuchte es jetzt eine akute Intervention, die es schafft, zu- mindest Gewalt einzudämmen und zu zeigen: Es gibt andere Wege, als Gewalt auszuüben.

Ist es nach der Veröffentlichung Ihres Briefes wieder ruhiger geworden? Oder ging das so weiter wie bisher?

Wir haben die E-Mail-Postfächer voll mit Mails mit dem Tenor: Wir werden euch und euer Büro finden. Wir dachten eigentlich auch, dass es nach dem Wahlkampf ruhiger wird, aber so ist es leider nicht.

Interview: Stefan Wirner

Das Interview erschien zuerst  in der drehscheibe-Ausgabe 10/2025

Felix Kalbe

ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und seit 2019 Stadtratsmitglied in Gotha. Er hat Evangelische Theologie und Marketing studiert und arbeitet für den Caritasverband im Bistum Erfurt. E-Mail: mail@felixkalbe.de

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.