Leseranwalt

Eine Nummer kleiner, bitte!

von Erik Kiwitter

Aus drehscheibe 12/2025

Es war einer unserer letzten Urlaubstage dieses Sommers. Wir saßen beim Frühstück in einem kleinen Apartment in Stockholm, beides nicht besonders üppig, weder das Apartment noch das Frühstück, aber völlig ausreichend. Skandinavien ist ein teures Pflaster, da ist Bescheidenheit durchaus keine Zier, eher eine Tugend, die sich auszahlt.

Wir Erwachsene tranken Kaffee, die beiden Kinder Mineralwasser und Apfelsaft aus „dem Supermarkt, zum Essen gab es Müsli mit Joghurt. Wir waren wie jeden Morgen gerade dabei, den Tag etwas zu strukturieren – denn ganz ohne Planung funktioniert es auch im Urlaub nicht, sonst versackt man – als der 16-jährige Sohn scheinbar ohne Anlass fragte: „Was ist Wohlstand eigentlich? Wohlstand ist doch Gesundheit, oder?“ Auf einmal merkte ich, wie sich bei uns anderen die Gehirnwindungen in Bewegung setzten, langsam, aber sicher.

Ja, was ist eigentlich Wohlstand? Das war eine richtig gute Frage auf den fast noch nüchternen Magen. Es ist ja nicht so, dass mir dieses Wort noch nicht untergekommen wäre oder dass ich damit nichts verbinden würde. In meine Wahrnehmung gerät es häufig dann, wenn Politiker eindringlich und manchmal auch oberlehrerhaft warnen, wenn wir jetzt nicht mehr Gas geben, würden wir von unserem wohlverdienten Wohlstand bald etwas einbüßen. Dann sehe ich Leute vor meinem geistigen Auge, die auf einmal anfangen, vor Wut zu schäumen, weil sie Angst haben, dass man ihnen von ihrem Vermögen bald ein klein wenig abknapst.

Natürlich weiß ich, auch im reichen Deutschland gibt es genügend Menschen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Am Ende des Geldes ist oft noch ganz viel Monat übrig. Das kennen manche. Aber es gibt auch ausreichend Wohlstand. Damit ist im Regelfall gemeint, was man so in der Tasche hat und was man sich leisten kann. Wohlstand riecht auch etwas nach Bequemlichkeit und Luxus. Und wenn wir mal ehrlich sind, geht es den meisten Menschen zwischen Kap Arkona und Zugspitze auch gut. Da stellen sich dann – zumindest mir – bei diesem Thema schon manchmal die Fragen: Muss es jedes dritte oder vierte Jahr ein neues Auto sein? Oder jeden Sommer eine große Kreuzfahrt über das Mittelmeer? Oder zu Weihnachten so viel Speis und Trank, sodass man sich zwischen den Jahren kaum noch bewegen kann?

Und was ist mit der Zufriedenheit? Oder ist Wohlstand etwas anderes? „Wohlstand kommt doch von wohlfühlen“, fügte unser Junge bei dem Frühstück in Stockholm noch hinzu. Vielleicht hat er recht. Sich materiell in Sicherheit wiegen und vielleicht aus den Vollen schöpfen zu können, ist eine gute Sache. Aber mal Hand aufs Herz: Geht es manchmal nicht auch eine Nummer kleiner? Vielleicht besteht der richtige Wohlstand darin, damit zufrieden zu sein, nur das zu besitzen und zu verbrauchen, was man wirklich benötigt. Das Wort Wohlstandsbäuchlein sagt ja alles. Es ist der Gegensatz zur Gesundheit, die wir wirklich brauchen. In diesem Sinne!

 

Der Artikel erschien im August 2025 in der Freien Presse.

Erik Kiwitter

ist Leserobmann der Freien Presse aus Chemnitz.

Telefon: 0371 – 65 66 56 66

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