Presserat

Alles unter einem Dach

von Sonja Volkmann-Schluck

aus drehscheibe 09/2025

Der Fall 

Eine Tageszeitung berichtet über ein Gebäude im Stadtzentrum und dessen offenbar unrechtmäßige Bewohner. Unter der Überschrift „Personen hausen illegal im Dachgeschoss am Marktplatz“ geht es um Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und das unerlaubte Abzapfen von Strom. Die Polizei ermittelt gegen drei Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren und gegen drei Männer im Alter von 20 bis 29 Jahren. Laut dem Polizeisprecher sind die weiblichen Tatverdächtigen deutsche Staatsangehörige, die männlichen Tatverdächtigen sind Migranten aus Marokko. Eine Leserin kritisiert gegenüber dem Presserat, dass die Redaktion die Herkunft der Tatverdächtigen nennt, obwohl diese für den Sachverhalt irrelevant ist.

Die Redaktion 

Der von der Redaktion beauftragte Rechtsanwalt erklärt, die Polizei habe mitgeteilt, die unrechtmäßigen Bewohner seien „Migranten aus Marokko“. Das Gebäude, in das unberechtigt eingedrungen worden sein soll, befindet sich am Marktplatz, einem Hotspot für Körperverletzungen und Drogengeschäfte, die überwiegend von ausländischen Tatverdächtigen begangen würden. Folglich sei dies ein Thema, das die Leserschaft und Öffentlichkeit ernsthaft bewege. In diesem Fall wäre es also unvollständig, wenn nicht auch mitgeteilt würde, was die Polizei über die Täter sage. Die Polizei hielt es sicher auch für geboten, die Herkunft der Verdächtigen mitzuteilen, um die allgemeine Achtsamkeit beim Betreten des Marktplatzes zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund ist für die Redaktion nicht erkennbar, warum sie diese Mitteilung der Polizei ihrer Leserschaft vorenthalten müsste.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss erkennt einen Verstoß gegen das in Ziffer 12 des Pressekodex festgeschriebene Diskriminierungsverbot. Er spricht eine Missbilligung aus, die zweitschärfste Sanktion des Presserats nach der Rüge. Die Zuschreibung „Migranten aus Marokko” kann gemäß Richtlinie 12.1 zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führen. Angesichts der geringen Schwere der mutmaßlichen Tat besteht kein öffentliches Interesse an der Nennung des Migrationshintergrundes der Verdächtigen. Selbst wenn die Polizei die Herkunft genannt hat, hätte die Redaktion abwägen müssen, ob diese Information in diesem Fall relevant ist oder eher diskriminierend wirkt.

Der Kodex

Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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