Presserat

Aus dem Privatleben

von

aus drehscheibe 02/19

Der Fall:

Eine Tageszeitung berichtet über den Gerichtsprozess gegen ein homosexuelles Paar, das nicht nur ein bekanntes Hotel betrieb, sondern auch Drogen im großen Stil verkauft haben soll. Beide seien HIV-infiziert. Aus ihrem Privatleben werden noch weitere Details erwähnt, so auch der Umstand, dass jeder der beiden einen Partner wegen einer Aids-Erkrankung verloren habe. Die städtische Aids-Hilfe tritt als Beschwerdeführer auf. Sie kritisiert das unerlaubte und unautorisierte Outing der beiden Männer als HIV-Positive. Weder die Homosexualität noch die HIV-Infektion sei für die Berichterstattung relevant, sodass neben der Verletzung der Persönlichkeitsrechte die Berichterstattung auch tendenziös sei. Sie bediene das alte Klischee von „Drogen plus schwul = HIV“. Der Bericht habe für die beiden Männer schwerwiegende Folgen. Sie hätten sich längere Zeit im geschlossenen Vollzug befunden und somit keinen Zugang zu Tageszeitungen oder Online-Medien gehabt. Die Bekanntmachung der Infektion führe seither zu Ausgrenzung, Beschimpfungen und Verunglimpfungen.

Die Redaktion:

Die Redaktion vertritt die Auffassung, dass sie nicht gegen Gepflogenheiten der Gerichtsberichterstattung verstoßen habe. Sie habe den Prozess gegen die beiden Männer vor dem Landgericht verfolgt. Um den Lesern die Beweggründe der Angeklagten näherzubringen, habe sie deren Biografie nachgezeichnet. Zu dieser gehöre die Homosexualität der beiden. Im Übrigen sei die HIV-Infizierung maßgeblich für die Urteilsfindung gewesen: Der Richter habe die von der Staatsanwaltschaft geforderte Haftdauer unterboten und dies mit der gesundheitlichen Situation der Verurteilten begründet.

Das Ergebnis:

Der Presserat erkennt in der Berichterstattung einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Schutz der Persönlichkeit) und spricht eine Rüge aus. Die Richtlinien 8.1 und 8.6 geben Anhaltspunkte für den Schutz der Identität von Straftätern durch die Presse und für den besonderen Schutz von erkrankten Personen. In jedem Fall erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem Interesse des Einzelnen, anonym zu bleiben, und dem öffentlichen Informationsinteresse. Durch den Artikel und die darin genannten Details werden die beiden Männer für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar. Die  Redaktion hat die presseethische Grenze zum Recht der Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung überschritten.

Der Kodex:

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Richtlinie 8.6 – Erkrankungen

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden gehören zur Privatsphäre. In der Regel soll über sie nicht ohne Zustimmung des Betroffenen berichtet werden.

 

Vivian Upmann

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.