Ein Fall für den Presserat

Das Opfer gezeigt

von

Der Fall:

Eine Regionalzeitung berichtet über eine Geiselnahme im Rathaus einer Kleinstadt. Der Täter habe einer der Geiseln zuvor monatelang nachgestellt. Er sei wegen Körperverletzung und Bedrohungsdelikten bekannt; in der Stadtverwaltung habe er Hausverbot. Der Oberstaatsanwalt teilt mit, dass der Geiselnehmer wenige Wochen vor der Tat zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei. Der Artikel enthält ein Foto, das laut Bildunterschrift eine der beiden befreiten Geiseln zeigt: Eine junge Frau, die in eine Decke gehüllt ist. Ihr Gesicht ist eindeutig zu erkennen. Ein Leser der Zeitung vermutet, dass das Foto heimlich aufgenommen worden sei. Von einer Zustimmung der Frau sei nicht auszugehen. Opfer von Straftaten seien keine Personen des öffentlichen Lebens und somit besonders zu schützen. Es gebe auch kein berechtigtes Interesse der Leser an Fotos von fremden und nicht öffentlichen Personen. Im Gegensatz zum Opfer werde der Täter nicht im Bild gezeigt.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur gibt dem Leser insoweit recht, als die im Bild gezeigte Geisel keine Person der Zeitgeschichte sei. Ziffer 8 schreibt fest, dass das Privatleben zu schützen ist. Über das Privatleben der abgebildeten Frau habe die Redaktion jedoch nicht berichtet, sagt er. Der Redaktion sei es lediglich darum gegangen, durch Rückgriff auf das an diesem Tag bundesweit verbreitete Agentur-Bildmaterial, das Geschehen mit einem authentischen Foto zu illustrieren. Der Chefredakteur vertritt die Meinung, dass die Verwendung des Bildes, auch mit Blick auf seine kleinformatige und zurückhaltende Platzierung, nicht gegen presseethische Grundsätze verstoßen habe.

Das Ergebnis:

Die Beschwerde ist begründet, der Presserat spricht eine Missbilligung aus. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen. Zwar besteht an der Information über Straftaten ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Die Identität von Opfern ist jedoch besonders zu schützen. Für das Verständnis des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. So auch in diesem Fall. Die abgebildete Frau wird durch die Tat plötzlich in die Öffentlichkeit gezerrt. Name und Foto dürfen in der Regel nur dann veröffentlicht werden, wenn das Opfer dem zugestimmt hat oder es sich um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. Eine Zustimmung lag nicht vor. Die Betroffene hätte nicht im Bild gezeigt werden dürfen.

Der Kodex:

Ziffer 8  –  Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Edda Eick

Autorin

Edda Eick ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon 030 – 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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