Ein Fall für den Presserat

Den Kleinen in den Mund gelegt

von

Der Fall:

Eine Regionalzeitung veröffentlicht auf ihrer Kinderseite regelmäßig eine Kolumne, die Politik erklärt. Unter dem Titel „Karl-Theodor zu Guttenberg und der Doktortitel“ beschäftigt sich ein  Autor mit der Diskussion über die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg und erklärt den Kindern den Vorgang. In diesem Rahmen wird die – sehr subjektive – Darstellung veröffentlicht, dass die „Feinde des Ministers ihm schaden wollten“, als sie das Plagiat aufdeckten. Gleichzeitig heißt es, es stimme, dass die sogenannten Feinde „neidisch auf den guten Ruf“ seien und dass es „gemein“ gewesen sei, nach Fehlern zu suchen. Der Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung eine polemische Darstellung zugunsten zu Guttenbergs. Diejenigen, die sein Abschreiben aufgedeckt hätten, würden verleumdet. Ein solcher Artikel, noch dazu auf der Kinderseite, entspreche nicht dem üblichen Niveau neutraler Berichterstattung.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur teilt mit, dass der Artikel, da er sich an Kinder richte, von vornherein eine andere Diktion als die üblichen Artikel auf den Politikseiten hatte. Man versuche, den Kindern mit einfachen Worten Vorgänge aus der großen Politik greifbar zu machen. Im Großen und Ganzen sei man der Auffassung, dass die Guttenberg-Affäre in dem Beitrag gut dargestellt worden sei. Allerdings sei man über einzelne Wertungen in der Veröffentlichung auch nicht glücklich. Diese Kommentierungen seien durch ein Versäumnis bei der redaktionellen Abnahme leider ins Blatt gerutscht. Dass „Feinde“ am Werk gewesen seien, die „gemein“ dem Minis­ter „schaden“ wollten, treffe sicher nicht die Substanz der Affäre. Diese Wendungen hätte man gerade Kindern, die Texte gutgläubig lesen, nicht vorsetzen sollen. Als Zeichen der Einsicht habe man zwei sehr kritische Leserbriefe zu dem Beitrag veröffentlicht. Gleichzeitig habe man dem Beschwerdeführer noch einmal persönlich geschrieben und ihm die Hintergründe in der Angelegenheit erläutert.

Das Ergebnis:

Die Vorsitzende des Beschwerdeausschusses erkennt einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 Pressekodex. Wie die Chefredaktion in ihrer Stellungnahme einräumte, enthält die Veröffentlichung Wertungen, die in einem Artikel, der für Kinder geschrieben wurde, fehl am Platze sind. Durch diese Aussagen wird bei den Kindern der Eindruck erweckt, als sei das Aufdecken des Plagiats verwerflicher als das Abschreiben selbst. Der Vorgang wird daher völlig verzerrt. Gerade bei der Vermittlung solcher Ereignisse an Kinder muss jedoch auf Neutralität geachtet werden. Davon kann im konkreten Fall leider nicht mehr die Rede sein. Die Vorsitzende spricht einen Hinweis aus. Bei dieser Entscheidung berücksichtigte sie, dass die Chefredaktion den Fehler eingeräumt und zwei kritische Leserbriefe zu diesem Beitrag veröffentlicht hatte.

Der Kodex:

Ziffer 2 - Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Autorin

Ella Wassink ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Presserat.

Mail: wassink@presserat.de
Web: Presserat.de

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