Presserat

Geschlechtliche Identität genannt

von

aus drehscheibe 09/2022

Der Fall:

Eine regionale Boulevardzeitung berichtet über eine Körperverletzung. In der Überschrift ist von einem Mann die Rede, der sich in eine Klinik geschleppt habe, nachdem er mutmaßlich von einer Transsexuellen niedergestochen worden sei. Die Zeitung schreibt, als tatverdächtig gelte eine trans­sexuelle Frau (48), und bei dem Tatort handle es sich um die Wohnung einer Pros­tituierten. Ein Leser der Zeitung sieht in der Berichterstattung einen Verstoß gegen Ziffer 12, Richtlinie 12.1. Er hält die Erwähnung der geschlechtlichen Identität der Verdächtigen in diesem Fall für problematisch, weil sie diskriminierend wirken könnte.

Die Redaktion:

Der Redaktionsleiter der Zeitung hält die Kritik für berechtigt. Die Überschrift habe die Redaktion deshalb schon vor Eingang der Presserats-Beschwerde geändert. Den Text habe sie entsprechend korrigiert. Die Redaktion überprüfe fortlaufend ihre Arbeit. Gerade in aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen, denen die Redaktion sich mit einem LGBTQI+-Schwerpunkt anschließe, nehme sie ihre Rolle sehr ernst. Sie sei für Hinweise von Leserinnen und Lesern stets dankbar.

Das Ergebnis:

Die Berichterstattung verletzt Ziffer 12 in Verbindung mit Richtlinie 12.1 des Pressekodex. Der Beschwerdeausschuss spricht einen Hinweis aus. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist, dass die Redaktion die geschlechtliche Identität der Tatverdächtigen benennt und in der Überschrift sogar hervorhebt. Es gibt aus Sicht der Presserats kein begründetes öffentliches Interesse, diese persönliche Information zu veröffentlichen. Die Erwähnung ist nach Richtlinie 12.1 vielmehr dazu geeignet, Vorurteile gegenüber Transpersonen zu schüren.

Der Kodex:

Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörig-keit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Ziffer 12 Richtlinie 1 – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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